Auszug aus dem  Buch "Gesundheit!" von Patch Adams und Co-Autorin Maureen Mylander
12&12 Verlag, Oberursel ISBN 3-930657-40-6
 

 

 

(Beginn Seite 63)

 

2. Eine ideale medizinische Praxis

Was für ein Doktor sind Sie?

Neugierige Heiler, die Hausbesuche machen und ihre Nase in alles stecken, werden sich köstlich amüsieren!

Oft werde ich gefragt: "Was für ein Doktor sind Sie?" Im allgemeinen sage ich dann gern: "Ich bin ein fürsorglicher und lustiger Doktor." Mit dieser Antwort lassen sich die Leute überrumpeln, denn in Wirklichkeit wollen sie fragen: "Was ist Ihr medizinisches Spezialgebiet?"

Dann erkläre ich, daß ich zuerst einmal hoffe, ein Freund für den Patienten zu sein, um ihn kennen und lieben zu lernen, damit ich mich um ihn sorgen kann. Außerdem ermutige ich den Patienten, sich redliche Mühe zu geben, ein gesundes Leben zu führen. Ich versuche, für viele Perspektiven aufgeschlossen zu sein und gebe niemals auf, zumindest nicht, solange es um Trost und Intimität geht.

An dieser Stelle wird die Diskussion durch die Folgerung des Fragestellers unterbrochen: "Oh, Sie sind wohl ein Psychiater!" Eigentlich bin ich ein Arzt für Allgemeinmedizin, der die oben erwähnten Dinge als elementare Eigenschaften eines Hausarztes ansieht. Als Arzt der Familie behandele ich Menschen, wenn sie geboren werden und wenn sie sterben. Ich begegne Patienten mit allen möglichen körperlichen und seelischen Krankheiten. Was ich mit den Patienten mache, kann unterschiedlich sein, doch ich habe mit den gleichen Problemen zu tun wie jeder Hausarzt: angefangen bei Arthritis, Grippe und Krebs, bis hin zu verstauchten Zehen, Erschöpfung und Gesundheitspflege.

Weder die diagnostischen Instrumente noch die Hilfsmittel der Behandlung kennzeichnen die Praxis eines Hausarztes. Doch näheres Hinsehen läßt vermuten, daß die Allgemeinheit einen "echten" Arzt daran zu erkennen glaubt, wie häufig er sie benutzt. Diese falsche Auffassung entsteht dadurch, daß Medizin als ein Geschäft verstanden wird. "Echte" Behandlung wird von der Versicherung bezahlt, doch es gibt nur eine minimale Entschädigung – wenn überhaupt – für den Aufbau einer Beziehung, Trost oder vergnügte Stunden mit dem Patienten. Die Menge der herkömmlichen Hilfsmittel – Medikamente, diagnostische Apparate und chirurgische Instrumente – läßt sich am leichtesten bestimmen.

Im gegenwärtigen Gesundheitssystem wendet man sich an eine ärztliche Niederlassung, wenn man sich krank genug fühlt. Im Brennpunkt steht die zwanghafte Technologie, die sich auf ein Krankenhaus stützt, und nicht auf die Vorbeugung. Es herrscht eine generelle Intoleranz gegenüber alternativen Heilmethoden. Die Schulmedizin versucht den Tod zu bezwingen, ignoriert das Gemeinwesen, gibt den Opfern die Schuld (und entschuldigt damit die Gesellschaft), ermutigt die Patienten zu einer passiven und abhängigen Haltung und vergißt die Umwelt.

Ein wesentlich wirksameres Herangehen an die Gesundheitsfürsorge würde im Gegensatz dazu auf örtlichen Gesundheitszentren und Programmen basieren, welche Technologie als therapeutische Hilfsmittel benutzen, wenn das notwendig ist, sich auf Vorbeugung konzentrieren und sowohl alternative als auch konventionelle Heilmethoden unterstützen. Es würde den Tod akzeptieren, wo er unvermeidbar ist, auf Lebensqualität Wert legen, sich kommunale Entwicklungsvorschläge zunutze machen, die "Opfer" schützen, die Eigenfürsorge fördern und auf die Umwelt feinfühlig reagieren. Das ist das Modell, das wir beim Gesundheit!-Institut verfolgen.

Wir werden herkömmliche Halsabstriche, Röntgen, Chirurgie und Medikamente anbieten, doch werden wir unsere Praxis nicht durch diese Begriffe definieren. Das sind unsere Werkzeuge. In der heutigen Atmosphäre denken die Menschen, ein Arztbesuch sei reine Verschwendung, wenn dabei nur geredet wird. Es wird in einem so großen Übermaß von diagnostischen Geräten, Arzneimitteln und Chirurgie Gebrauch gemacht, daß die Leute das mit einem "Verarzten" gleichsetzen. Daher ist es nicht selten, daß ein Arzt ein Medikament verschreibt oder eine Untersuchung anordnet, nur damit der Patient denkt, daß etwas Nützliches geschieht. In der Arbeitswelt wird diese verlogene Einstellung durch die Krankmeldungen für Arbeitnehmer verstärkt: Welche Firma würde heutzutage einen bezahlten "Ruhetag für seelische Gesundheit" zulassen? Also müssen die Patienten einen Arzt aufsuchen, um Krankengeld zu erhalten.

Wir sind dabei, ein komplett ausgestattetes, modernes ländliches Gemeinde-Hospital zu bauen, mit Labordiensten, einer Apotheke, einer Notaufnahme und Einrichtungen für innere Medizin und allgemeine Chirurgie. Es wird auch einen vollständigen Mitarbeiterstab mit vielen medizinischen Fachärzten und anderen Arten von Heilern erhalten. In diesem Zusammenhang werden Pharmazie und Chirurgie eine sehr wichtige Rolle spielen, aber wir werden die Einrichtung nicht anhand der pharmazeutischen und chirurgischen Dienste definieren. Genauer gesagt werden sie ein Rückhalt von unschätzbarem Sicherheitswert sein, während wir in erster Linie versuchen wollen, mit viel sanfteren und billigeren Behandlungsmethoden vorzugehen.

Wir sind uns dessen bewußt, daß chirurgische Instrumente beim Umgang mit schweren Krankheiten und Tod nur unzulängliche Werkzeuge sind. Aber das trifft keineswegs auf den demütigen und fürsorglichen Arzt an der Seite des Patienten zu. Hausärzte wählen die Hilfsmittel, mit denen sie vertraut sind, doch verlassen sie sich niemals ausschließlich darauf. Wir werden uns in unserer Einrichtung alle medizinischen Schätze zunutze machen, die uns die Geschichte überliefert hat, und uns nicht auf die gegenwärtigen und konventionellen Heilmethoden beschränken.

 

Warum wir für Behandlung  kein Geld nehemen 

Habgier ist eine der schlimmsten Bösartigkeiten in unserer Gesellschaft, und sie scheint in jeder Ecke der Welt Metastasen zu bilden. Die Ansicht, daß Gier unheilbar ist, kann wohl ihre Eskalation begründen. Zynismus ist sicherlich eines der verheerendsten Symptome von Gier. Wenn Gier und ihre Symptome nicht entfernt werden, wird unsere Gesellschaft zugrunde gehen. Wir glauben, daß sich eine Gesellschaft genügend um ihre Bevölkerung kümmern muß, damit ihre Bedürfnisse versorgt werden. Behandlung von Krankheiten und medizinische Versorgung sind für ihr gesundes Überleben grundlegend. Diese Bedürfnisse sollten als ein Geschenk an ihre Bevölkerung erfüllt werden, nicht als eine Ware, die gekauft und verkauft wird. In einem profit-orientierten System, das sich der Habsucht hingibt, das höchste Einkommen, das der Handel zuläßt, an sich zu reißen, wird das Ziel Krankheitsfürsorge heißen. In einem dienst-orientierten System, das der Erhaltung der bestmöglichen Gesundheit der Bevölkerung gewidmet ist, wird das Ziel Gesundheitsvorsorge heißen.

Das Gesundheit!-Institut wird niemals Geld für seine medizinischen Dienste verlangen. Falls es überlebt, werden Personal, Patienten und Freunde zusammenarbeiten und alles spenden, was gebraucht wird, damit es als ein Gemeinde-Hospital florieren kann. Wir hoffen, den Faktor der Schuld vollständig aus der heilenden Interaktion ausschalten zu können. Das läßt uns zwar gegenüber einem größeren Gemeinwesen verwundbar werden, doch, so paradox es scheinen mag, glauben wir, daß Verwundbarkeit unsere stärkste Kraft ist. Wir glauben, es ist unbedingt notwendig, daß wir die Gemeinde, der wir dienen, brauchen, weil uns die Gemeinde ebenso braucht. Das ist die Grundlage für Inter-Abhängigkeit, die wir als Notwendigkeit für eine gesunde Gesellschaft empfinden.

Als Individuen und als Gesellschaft müssen wir aufhören, Dinge und Wohlstand anzubeten und unseren Sinn für Reichtum auf die Dinge ausrichten, die jeder in Hülle und Fülle haben kann, ohne daß irgend jemand ausgeschlossen wird. Zu diesen Reichtümern gehören Vertrauen, Spaß sowie die atemberaubende Freigebigkeit der Natur und der Freundschaft. Im zentralen Brennpunkt unseres Wirkens steht deshalb die Bildung sehr enger Freundschaften. Unsere idealen Patienten werden diejenigen sein, die sich eine tiefe persönliche Freundschaft fürs Leben wünschen. Dadurch, daß wir kein Geld verlangen, können wir diesen Prozeß stark beschleunigen. Die Gesundheit!-Einrichtung – in der jeder am Kochen, Saubermachen, Spielen, an der Gartenpflege und sogar an der Patientenbetreuung mit beteiligt ist – muß wie ein Freundes- und Familienkreis funktionieren, und nicht wie eine finanzielle Transaktion.

Je näher wir uns als Freunde kommen, desto mehr werden wir uns gegenseitig über unser Leben erzählen und desto ehrlicher werden wir miteinander umgehen. Wir werden die Liebe als unsere mächtigste Medizin gebrauchen, besonders wenn ein Patient im Sterben liegt oder mit unheilbaren Problemen und Schmerzen fertig werden muß. Freundschaft steigert die zarte Anwendung von Humor in der ärztlichen Praxis. Diese Art von Medizin kann nicht gekauft oder verkauft werden. Wenn wir unseren Patienten nichts berechnen und sie bei uns zu Hause haben – entweder im Hospital oder in unserem eigenen Haus, das wir in West Virginia zu bauen hoffen – dann fühlen wir uns freier, um albern sein und Freundschaften schließen zu können. Wir glauben außerdem, daß kostenlose Behandlung eine sehr gute Versicherung gegen Kunstfehler ist.

Die Schaffung starker Gemeindestrukturen, in denen die Mitglieder ein Gefühl der Dazugehörigkeit empfinden können, kann nicht als eine tatenlose Philosophie umgesetzt werden. Unser Gesundheit!-Institut ist das Ergebnis dieser Aktion, die von Gemeinsinn und Freigiebigkeit angetrieben wurde. Wir hoffen, daß unsere Patienten diese Großzügigkeit mit sich nehmen und in ihren eigenen Gemeinden verbreiten, wenn sie uns verlassen. Das Herz unserer sozialen Revolution heißt: den teuersten Dienst von Amerika nehmen und ihn freigiebig weiterverschenken.

 

Alternative Therapien: Platz für jedermann

Schauen wir den Tatsachen ins Gesicht: Es gibt eine Unmenge Patienten da draußen. Selbst wenn all die verschiedenartigen Heiler zur Verfügung stünden, wäre immer noch ein ungeheurer Berg von Arbeit zu erledigen. Außerdem sind unsere individuellen Fähigkeiten so unvollständig, daß wir oft Heiler aus anderen Fachbereichen um Hilfe bitten müssen. Menschen sind so einmalig, und Krankheiten haben so viele Faktoren, daß wir Hunderte von Methoden benötigen, um den richtigen Weg zu finden und die Hoffnung des Patienten am Leben zu halten. Da es in all den Heilungstechniken Wunder gibt, frage ich mich, warum ihre Befürworter nicht zusammenarbeiten?

Ich bitte um die weiße Fahne des Friedens und eine Atmosphäre, in der wir alle zusammenarbeiten können. Konkurrenzkampf zwischen Heilern ist nicht gesund. Das ist weder Sport noch Spiel. Der amerikanische Ärzteverband (AMA40) ist kein Feind, und all die anderen Heiler sind keine Quacksalber. Der Verband ist tief besorgt, daß äußere Einflüsse die Arzt-Patient-Beziehung "unterminieren" und seine Mitgliederzahl schrumpft. Mit einer Engstirnigkeit, die für wahre Wissenschaftler nicht charakteristisch sein sollte, verdammen Ärzte unkonventionelle Heilmethoden, ohne sie jemals näher unter die Lupe zu nehmen. Ich glaube, viele skeptische Ärzte würden den Wert dieser Behandlungen einsehen und sogar ihre eigenen Patienten dahin überweisen, wenn sie sich die ehrliche Mühe machen würden, rechtschaffene Heilpraktiker kennenzulernen und mit ihren Patienten zu sprechen.

Wir müssen aus unseren Methoden keine Religionen machen, denen wir folgen, selbst wenn sie nichts nützen. Wir sind Heiler: sorgende, mitfühlende, aufmerksame Freunde unserer Patienten. Das Geheimnis unserer Magie liegt nicht in unseren Hilfsmitteln, sondern in uns selbst. Wenn eine Behandlung hilft, spielt es dann eine Rolle, warum? Arthur Kleinmann, ein Harvard Psychiater, hat in seinen Krankheitsberichten41 über das Versagen der allopathischen Medizin bei der Behandlung vieler chronischer Krankheiten geschrieben. Er spricht das Bedürfnis nach der Art von Fürsorge aus, die gute, holistische42 Fürsorger anzubieten versuchen. Andererseits können Chirurgie und medikamentöse Behandlungen wunderbare Wirkungen erzielen; sie werden jedoch mitunter von alternativen Heilpraktikern verdammt, die eine Abwehrhaltung einnehmen und die gleiche Verurteilung erwidern, die sie von den Allopathen erfahren.

Irgendwo hinter diesem ganzen Konflikt steckt echte Besorgnis, daß ein Heiler einem Patienten durch unverantwortliches Handeln schaden kann. Doch das kann bei allen Formen von Heilkünsten vorkommen. In dem gegenwärtigen Konkurrenzkampf ist es selbstverständlich, daß ein Heiler behaupten muß, das beste Heilsystem zu besitzen, und daß die anderen weniger effektiv oder sogar schädlich sind. Der Patient wird zum Schlachtfeld. Es geht nicht mehr um seine Gesundheit, sondern darum, den Streit um das System, oder noch schlimmer, den Kampf um "Marktanteile" zu gewinnen. Großartige Heiler gibt es auf allen Ebenen der Gesundheitsfürsorge. Wenn all diese Systeme zusammenarbeiten würden, könnte es aktive Partnerschaft in der Patientenbetreuung geben. Das wäre vorteilhaft für den Allopathen, den alternativen Heilpraktiker und den Patienten.

Als ich mich um Heilpraktiker gekümmert habe, die nicht ohne allopathische Schirmherrschaft praktizieren konnten, bin ich auf großes Leid gestoßen. Der Kummer wird tiefer, wenn ein unorthodoxer Arzt vor Gericht gezerrt und ein Kurpfuscher genannt wird. Ist es nicht ein Teil unseres hippokratischen43 Eides, dem nachzugehen, wenn wir eine potentielle Lösung für ein medizinisches Problem finden? Mir liegen alle Fachleute der Gesundheitsfürsorge am Herzen, die wegen der Ausübung ihres Berufes vor Gericht gestellt wurden. (Ich spreche nicht von den Praktiken verantwortungsloser Kurpfuscher mit wirtschaftlichen Motiven, sondern von fürsorglichen Heilern.) Mich stört die arrogante Mißbilligung von Ärzten, die aus Angst reagieren, wie mir scheint.

Wir brauchen Botschafter der Vergebung und des guten Willens, damit die beiden Lager einen Pakt der Versöhnung schließen. Ärger und namhafte Willkür verbreitern nur den Spalt. Vielleicht könnten wir einen Ort der interdisziplinären Fürsorge schaffen, wenn wir die Freude bei der Erkundung neuer Ideen und Therapien teilen, Skeptiker zu uns nach Hause und in unsere Praxen einladen, ihre Patienten unter ihrer Beobachtung nach unseren Methoden behandeln lassen, Zweiflern Stipendien für den Besuch unserer Tagungen anbieten und die großen Werte der allopathischen Medizin aufrichtig anerkennen würden.

Wenn es um Veränderung geht, müssen sich Unterlegene und Minderheiten normalerweise selbst beweisen. Egal, wie tief das Zerwürfnis ist – Behandlungspartner, die sich streiten, können oft ein gesundes Ergebnis zeitigen, wenn einer dem anderen die Hand über den Spalt hinweg mit Vergebung, Liebe und Humor entgegenstreckt und sagt: "Wie viele Hindernisse es auch geben mag, wir werden uns wieder einigen; wie lange es auch dauern mag, wir werden an unserer Gemeinsamkeit festhalten." Wenn wir zu herkömmlichen Gemeinschaftspraxen gehen und unsere partnerschaftliche Mitarbeit anbieten, würden sich vielleicht Brücken bauen lassen. Wir könnten medizinische Konferenzen besuchen und unsere Ideen teilen. Wir könnten uns an den Ärzteverband wenden und eine Gipfelkonferenz einberufen, wo wir alle zusammenkommen.

Es kommt darauf an, niemals aufzugeben. Jeder wird unter den Gegebenheiten zu leiden haben, bis wir eine einzige heilende Familie sind. Ich will nicht, daß Fachleute der Gesundheitsfürsorge mit meinen Heilmethoden unzufrieden sind, doch sie lassen sich nicht so gestalten, daß sie jedem gefallen. Wir müssen uns gegenseitig respektieren lernen, egal, wie lange das dauert. Viel zu oft wird der Streit wie ein Bürgerkrieg ausgetragen, in dem übertriebene Ideologien jedem schaden, der darin verwickelt ist. Kann dabei der eine den Aufwand des anderen gewinnen? Ich glaube nicht.

Ich glaube, daß Arroganz und wirtschaftlicher Wettbewerb den Kern dieses Problems bilden. Unser Gesundheit!-Institut wurde niemals vor Gericht gestellt. Ein Grund dafür ist sicherlich, daß wir für unsere Dienste kein Geld berechnen. Wir haben mit unseren Patienten Experimente durchgeführt, vor denen sicherlich viele Fachleute zurückschrecken würden, einfach, weil wir auch auf alle anderen Heilkünste zurückgreifen. Und doch ist niemals ein gerichtlicher Prozeß gegen uns angestrebt worden, seit wir in den frühen 70er Jahren zu praktizieren begannen, wobei das Klima damals noch feindseliger als heute war. Es ist wichtig, behutsam mit den Ansprüchen an eine Therapie umzugehen. Im Gesundheit!-Institut werden wir alle Heilmethoden achten und alle möglichen Heiler zusammenarbeiten lassen, solange sie kein Geld dafür verlangen und ihre Behandlungen für Beobachtungen öffnen. Wo immer es möglich ist, liegt die Entscheidung darüber, welche Technik angewandt wird, beim Patienten und seiner Familie. Wir werden nicht auf eine einzige, vereinheitlichte Heiltechnik hinarbeiten. Statt dessen werden wir die Verschiedenheit pflegen. Die Arbeit in einer solchen Umgebung erwarte ich mit meinem größten Entzücken.

Hausbesuche: Seelennahrung für einen Doktor

In der Medizin bedeutet Effizienz, weniger Zeit mit den Patienten zu verbringen. Daher ist Effizienz ein zweischneidiges Schwert. In einem Wirtschaftsbetrieb bekommt derjenige die größte Belohnung, der die höchste Stückzahl in der kürzesten Zeit produziert. In einem Geschäft, wo das Produktionsziel aus materiellen Gütern besteht, mag es dafür gute Gründe geben. Doch in der Dienstindustrie ist mehr nicht unbedingt besser. Mehr bedeutet eigentlich weniger der erwünschten Wirkung. Die Medizin hat versucht, ihren Dienstcharakter zu erhalten, während sie zu einem leistungsorientierten Geschäft wurde, aber der Dienstanteil wird immer weniger. Sie hat mit einem Produkt zu tun, wenngleich mit einem abstrakten: die Gesundheit von beiden, die des Patienten und die des Arztes.

Wirtschaftlichkeit legt größeren Wert auf die Anzeichen, Symptome, körperliche Untersuchungen und Tests als auf die Beziehung zwischen dem Arzt und dem Patienten. Für die Pflege einer Freundschaft bleibt keine Zeit. Ein abgrundtief bedeutungsloser Zeitraum wird dafür verwendet, die Sozialgeschichte und den Lebensstil des Patienten in Erfahrung zu bringen. Und die meisten Patienten wissen nichts über ihre Ärzte. Ich glaube, dieser Verlust einer tiefergehenden Beziehung hat beide Seiten verletzt. Der Doktor braucht die Beziehung, damit Nähe zum Schmerz und Leid sowie seine Hilflosigkeit, viele Patienten nicht heilen zu können, seine Seele nicht zerstören. Der Patient braucht die große Kraft der Beziehung zur Linderung und Heilung. Ich glaube, das Kunstfehlerproblem entwächst den Trümmern der zerfallenen Beziehung.

Bei den traditionellen Hausbesuchen ging es um Beziehung. Ja, sie waren unwirtschaftlich: Sie kosteten eine Menge Zeit, und wer konnte die aufbringen? Doch als die Ärzte ihre Hausbesuche opferten, warfen sie den größten Schatz ihrer medizinischen Praxis auf den Müll. Sie waren nicht nur eine Annehmlichkeit für die Patienten, noch war es notwendig, sie einzustellen, als die medizinische Technologie zu groß wurde, um sie in einem Auto herumzukutschieren. In vergangenen Zeiten lernte der Patient auch das Zuhause des Arztes und seine Familie kennen, denn der Arzt praktizierte daheim. Das wurde während der Hausbesuche erwidert.

Hausbesuche sind so wichtig für meine Praxis, daß ich eine medizinische Geschichte ohne sie erbärmlich unvollständig fände. Das Zuhause eines Menschen ist ebenso einmalig wie sein Erbgut. Es kann viel über die Krankheit eines Menschen erzählen und über seinen Gesundheitszustand sogar noch mehr. Das Heim ist der persönliche Altar für seine Götter – Möbel, Fotos, Musik, Bücher, Hobbys und so weiter. Tatsächlich findet alles, was einen individuellen Menschen berührt, irgendeinen Ausdruck in seiner Heimstatt. Ein Blick in die Küche, den Medizinschrank oder das Wohnzimmer kann Ihnen ebenso viel erzählen wie eine Messung des Blutdrucks oder eine Blutprobe – oder vielleicht sogar noch mehr. Es bedürfte einer tagelangen Intensivbefragung, um auch nur annähernd das in Erfahrung zu bringen, was ein einziger Hausbesuch enthüllen kann.

Hausbesuche ermöglichen es dem Arzt und dem Patienten, in gemeinsamen Interessen zu schwärmen und neue zu entdecken. Sie eröffneten mir oftmals neue Schätze für mein Leben. Einst kam ich unserem Briefträger näher, und dabei ging es später auch um seine Gesundheitsfürsorge. Sein Heim aufzusuchen war für mich wie das Betreten eines Zauberwaldes: Als Sammler von fleischfressenden Pflanzen war er eine der authentischsten Kapazitäten unseres Landes. Sein Haus war voller Pflanzen – er hatte mehrere Gewächshäuser und einen vorstädtischen Garten mit Teichen, die mit allen Arten und Unterarten einheimischer und exotischer Spezies fleischfressender Pflanzen gefüllt waren. Das rief in mir Jugenderinnerungen an die Tulpenzeit in Holland wach. Dort, in dem Garten meines Briefträgers, blühten Felder von Trichterlilien44 und Venusfliegenfallen45. Mein Sohn und ich waren wie verzaubert. Mein Briefträger hatte außer seiner Pflanzenpflege keinerlei soziale Kontakte. Er verbrachte seinen Urlaub mit der Nachsaat der Fundorte an der Ostküste. Meine Familie und ich nahmen sogar an einem Picknick in seinem Garten teil, wobei alle anderen Gäste Mitglieder des Vereins für fleischfressende Pflanzen waren.

Sich daheim bei einem Menschen zu entspannen und seine Gastfreundschaft zu genießen, schafft tiefere Bindungen, als sie je in einer Arztpraxis geschmiedet werden könnten. Der Doktor wird für den Patienten zur Person, vielleicht sogar zum Freund. Hausbesuche sind heutzutage so selten, daß Patienten den Wert eines Besuches außerordentlich würdigen. Das eröffnet neue Ebenen von Vertrauen und Respekt. Der Arzt sorgt sich mehr um die Patienten, beginnt sich in ihrer Gegenwart entspannter zu fühlen, erhöht seine Sensibilität in der Befragung und kann sich besser mit den Leidensfragen auseinandersetzen. Das ist die hohe Schule der Medizin. Wenn der Patient eine Familie hat, kann ihr der Arzt begegnen, ihre Interaktion beobachten und ihre Ansichten kennenlernen. Was ein Patient über seine Familie in der Praxis eines Arztes erzählt, unterscheidet sich immer in bemerkenswerter Weise von dem, was ein Doktor bei seiner häuslichen Begegnung ersehen kann. Wenn ein Arzt mit den Kindern auf dem Fußboden spielt, verstärken sich die Bande. Bleibt er zum Essen, wird die Beziehung weiter vertieft. Mit wachsender Intimität wird ein Doktor möglicherweise sogar fähig, häusliche Probleme oder Mißbrauch abzuwenden.

Ich habe mich für die Medizin entschieden, um dieses Privileg zu genießen. Ich wurde Mediziner, weil ich Menschen liebe. Die unpersönliche medizinische Praxis von heute kann meine Leidenschaft für sie nicht befriedigen. Ich muß Hausbesuche machen. Der Hausbesuch ist der Eckpfeiler des Glückes, das ich in meiner ärztlichen Praxis erfahren habe. Ich würde am liebsten vorschlagen, daß Ärzte, die gerne Hausbesuche machen möchten, einen Tag oder zwei Nachmittage in der Woche dafür reservieren, um es auszuprobieren. Nehmen Sie sich etwas mehr Zeit und berechnen Sie nicht viel dafür – es wird ein Vielfaches des Reichtums auf Sie zurückfallen. Neugierige Heiler, die Hausbesuche machen und ihre Nase in alles stecken, werden sich köstlich amüsieren!

Vertraulichkeit: Alles, was wir wollen,
basiert auf Vertrauen

In unserem gegenwärtigen System wird alles, was zwischen Arzt und Patient gesprochen wird, streng vertraulich gehalten und niemals anderen mitgeteilt. Diese Intimsphäre wird vom ärztlichen Berufsstand als ‚heilige Kuh‘ angesehen. Doch oft kann Schmerz, besonders sehr tiefer Schmerz, erleichtert werden, wenn er mitgeteilt wird, wohingegen "Schweigepflicht" das Gewicht der geheimen Last verstärken oder vergrößern kann. Wir Menschen brauchen einander, und zwar grundsätzlich, um zu überleben.

Im Gesundheit!-Institut wollen wir die Vertraulichkeit in der heilenden Interaktion vermindern oder sogar ganz abschaffen. Wir haben das Gefühl, daß diese heilige Einrichtung eigentlich ein schwaches Glied und keine Grundlage für echte Anteilnahme ist. Unser Antriebskräfte beziehen wir aus dem Zwölf-Schritte-Programm und dessen Gruppen*, wo die völlige Offenheit vor der Gruppe in Ehrlichkeit unter Freunden nicht nur Beziehungen zwischen Menschen vertieft, sondern auch noch eine Atmosphäre der Unterstützung und des Verständnisses schafft. Wenn wir dies nicht im Zusammenhang mit Gemeinschaft und Freundschaft tun würden, wäre unser Vorgehen destruktiv; doch in der intimen Umgebung des Gesundheit!-Institutes konnte der Schmerz oft gelindert oder beseitigt werden, indem er offen mitgeteilt wurde. Geteilte Freude ist doppelte Freude, und geteiltes Leid ist halbes Leid.

Wir werden natürlich die Wünsche unserer Patienten respektieren, wenn wir unsere Ansicht vermitteln, daß Offenheit ein wichtiger Teil eines gesunden Lebens sein kann. Die Aufgabe der Intimsphäre ist ein Grundstein der Freundschaft und ein Gegenmittel gegen Einsamkeit. Selten haben wir in unserer ärztlichen Praxis erlebt, daß Menschen unsere Einladung zur Offenheit zurückwiesen. Im Gegenteil, die meisten Menschen schienen erleichtert zu sein, daß sie sich selbst im Rahmen unserer Gemeinschaft so vielen anderen mitteilen konnten – über Kinderpflege, Unterhalt, Landwirtschaft, Ernährung, Kunsthandwerk und Spiel. Diese Übung hilft einem Menschen, sich vor Fremden natürlich zu verhalten und schnell heimisch zu fühlen, im Gegensatz zu der üblichen Erfahrung eines Krankenhauspatienten. Einige haben sich über die schmerzlichen Konsequenzen dieser Freimütigkeit beschwert, doch meistens sind diese Beschwerden im nachhinein der Einsicht gewichen. Die große Mehrheit der Patienten war dankbar für die Gelegenheit zu teilen (engl.: share, sharing).

Wir sind alle so unermeßlich und unbegreiflich, daß wir nicht einmal die tiefsten Vertraulichkeiten enthüllen müssen, um großartige "Geheimnisse" zu offenbaren, deren Erzählen uns heilen könnte. Ein ganzes Leben ist nicht genug, um alles zu erforschen, was wir bereitwillig mitteilen würden. Es gibt wirklich sehr integere Menschen, die unheimlich viel von sich selbst enthüllen können, ohne sich dabei auch nur ein bißchen zu verlieren.

Ich sah einmal, wie Sam Keen46 von Bill Moyers47 zum Thema "Persönlicher Mythos" interviewt wurde. Keen beschreibt sich selbst als mystischen Cowboy. Nach seiner Erfahrung geschehen gewaltige Dinge in seinen Workshops und auch im realen Leben, wenn zwei Fremde ihre jeweiligen Geschichten miteinander teilen. Großer Wert wird auf die Bedeutung jeder Geschichte gelegt. Für mich ist das die Magie der Medizin: Der Heiler und der Hilfesuchende begeben sich auf die Ebene einer intimen Reise ins Innerste, indem sie Geschichten mitteilen. Unsere medizinische Erfahrung im Gesundheit!-Institut hat gezeigt, daß echte Heilung auftreten kann, wenn sich zwei Menschen aufrichtig mitteilen. Deshalb wollen wir ein freundschaftliches Milieu in der Praxis unseres Gesundheit!-Institutes: Freundschaft verstärkt die Offenbarung von Geschichten.

Die ängstliche Geheimhaltung dessen, was wir sind – solch anonymer Egoismus macht Intimität viel schwieriger, eigentlich sogar zur Lüge. Wir Menschen haben ein Stammesgefühl und brauchen Gemeinwesen. Wir benötigen ein Kollektiv, das unsere Geschichten kennt und sie liebt. Wenn ein Mensch einen sicheren Platz hat, um diese Art von Ehrlichkeit zu praktizieren, dann kann er damit auch im täglichen Leben fortfahren.

Ein weiterer sehr wichtiger Grund für Offenheit besteht darin, daß sie zur maximalen Sicherheit aller Beteiligten beiträgt. Unser Haus und unsere Familien, unsere Gäste und Patienten werden all denen ausgesetzt sein, die zum Gesundheit!-Institut kommen. Das schließt eine große Anzahl von Leuten mit ein, die schwer leiden und verzweifelt Freunde brauchen, die ihnen zuhören. Es wird auch eine geringe Anzahl von gestörten, gefährlichen Menschen geben, die vielleicht jemanden verletzen möchten. Ihre Reaktion auf unsere Atmosphäre der Offenheit und unsere Fähigkeit, unsere Sorge um die Sicherheit auszudrücken, wird uns helfen, uns zu schützen. Wir wollen uns nicht davor fürchten, mit gefährlichen Menschen zu arbeiten. Auch sie brauchen unsere Hilfe.

Vertraulichkeit hat gesunde, feste Wurzeln in der Medizin. Sie sorgt mit einem dicken Schutzschirm vor, damit die Patienten ihren Ärzten sogar ihre intimsten Angelegenheiten anvertrauen können. Außerhalb eines gemeinschaftlichen Milieus mag das nützlich sein, doch Geheimniskrämerei innerhalb einer Gemeinschaft kann schlimme Barrieren schaffen. Die überwältigende Einsamkeit der modernen Gesellschaft gebietet uns, daß wir versuchen müssen, das Ego-Schneckenhaus der Geheimhaltung zu zerbrechen. Wir müssen uns mit Hand und Herz zueinander gesellen, um unsere Verwundbarkeit zu würdigen, vor einem anderen zu kapitulieren, uns auszuliefern und hinzugeben [engl. surrender].

 Heilungsraten: Der Erfolg steckt in der Fürsorge und dem Spaß

Eine der häufigsten Fragen, die uns über unsere Arbeit gestellt wird, heißt: „Wie erfolgreich seid ihr?" Wenn ich die Bedeutung dieser Frage untersuche, bezieht sie sich auf Heilungsquoten. Was für eine hohle Grundlage des Erfolges und was für eine oberflächliche Betrachtungsweise der Arzt-Patient-Beziehung ist das?! Das erinnert mich immer an die Annoncen, in denen es heißt: „Drei von vier Ärzten empfehlen …" Die Heilungsquote ist nicht mehr als eine Richtlinie für die Machbarkeit eines bestimmten therapeutischen Ablaufes. Selten wird dabei berücksichtigt, welche Nebenwirkungen auftreten, welche Kosten entstehen oder ob die gleichen Erfolge nicht auch durch eine Veränderung der Lebensführung erreicht werden könnten. Wenn mir ein Patient erzählt, daß „Tagamet" sein Magengeschwür geheilt hat, daß er jedoch nichts an seinem streßbeladenen Lebensgewohnheiten geändert hat, dann frage ich mich: Ist das Heilung? Nach meiner Erfahrung bemessen Statistiken mit Heilungsquoten nur einen Bruchteil der Parameter, die für eine Auswertung wichtig sind, und der berücksichtigte Zeitraum ist zu kurz.

Wenn Erfolg wirklich von Heilungsquoten abhinge, würden Notärzte Höllenqualen erleiden wegen all der Patienten, die sie nicht heilen können. Diese Sichtweise fördert außerdem die Vorstellung, daß der Arzt heilt und der Patient ein passiver Empfänger von „Heilung" ist. Es wimmelt von Schuldzuweisungen, wenn die Heilung nicht eintritt. Der Arzt gibt dem Patienten die Schuld und sagt, daß das Gesundheitsproblem psychosomatisch bedingt sei, oder der Patient beschuldigt den Arzt in einem Prozeß wegen Kurpfuscherei. Ein Arzt, der die totale Verantwortung für die Heilung übernimmt, arbeitet wahrscheinlich weniger mit dem Patienten an der eigentlichen Wurzel des Problems und wird vielleicht eher geneigt sein, pharmazeutische oder chirurgische „Notlösungen" anzuwenden. Heilungsquoten können helfen, die beste Behandlungsmethode zu bestimmen, aber sie können niemals den wahren Erfolg definieren.

Die größten Erfolge in der Medizin sind mit der Sorge für andere verbunden. Wenn ein Patient von dem Bedürfnis spricht, in den Arm genommen zu werden, nehmen Sie ihn dann in den Arm? Wenn ja, dann ist das ein Erfolg. Pflegen Sie Kontakte mit ihren Patienten im Zusammenhang mit ihren Familien, Freunden, der Gemeinde und der Welt? Nähren Sie ihre Hoffnungen? Macht es Ihnen Spaß? Konzentrieren Sie sich genug darauf, für Ihre Patienten da zu sein? Empfinden Sie das Entzücken, wenn Ihnen eine andere Seele genügend vertraut, um Ihnen ihr innerstes, intimstes Selbst mitzuteilen? Sind sie entspannt und frei genug, um ehrliches Feedback zu geben, wie schmerzhaft es auch sein mag? Leisten Sie Widerstand, wenn Sie gedrängt werden, eine Behandlung durchzuführen, hinter der Sie nicht wirklich stehen? Sind Sie demütig in Bezug auf Ihre Rolle als Helfer bei der Heilung von Krankheit? Zeigen Sie Ihre eigene Verwundbarkeit und Menschlichkeit ebenso, wie das Ihr Patient tut?

Waren wir im Gesundheit!-Institut erfolgreich? Ja! Wir haben unsere Zeit, unsere Liebe und unseren Respekt hingegeben und fühlten uns am Ende des Tages reichlich belohnt. Das ist das Beste, was irgend ein Mensch geben kann, um Leid zu erleichtern und gesundes Leben zu fördern. Da wir versuchen, unsere Patienten ein Leben lang zu begleiten, und weil alle Patienten eines Tages sterben, möchte ich sagen, daß wir dafür kein Heilmittel haben. Doch wir bemühen uns um den berühmten Aufschub.

 

 Wie man ein idealer Patient wird

Ohne Patienten hätten Ärzte kein Gewerbe. Wenn Patienten aufhören, passive Empfänger von väterlicher Fürsorge zu sein und aus ihnen aktive Partner werden, höre ich oft die Frage: „Wie kann ich ein besserer Patient werden?" Ich bin immer wieder fasziniert, mit jemandem zusammen zu sein, der für diese Frage Zeit und Mühe aufbringt. Ebenso, wie viele Patienten mit ihren Ärzten unzufrieden sind, bin ich als Arzt mit meinen Patienten nicht zufrieden. Ich will nicht, daß sie passiv, abhängig, weinerlich, mißtrauisch oder ängstlich sind. Mit Sicherheit will ich nicht, daß die Patienten denken, ich hätte alle Antworten parat. Statt dessen wünsche ich mir, daß sie es phantastisch finden, wenn wir wieder als alte Freunde zusammenkommen.

Der erste Schritt, um ein idealer Patient zu werden, besteht darin, ein aufrichtiges, mitempfindendes, liebevolles und fröhliches Selbstgefühl zu besitzen. Das größte Geschenk, daß Sie in eine heilende Interaktion einbringen können, ist Ihr eigener Fortschritt in die Richtung einer vielschichtigen, gesunden Lebensführung. Entscheiden Sie sich so früh wie möglich in Ihrem Leben für das Wohlsein: Feiern Sie das Wunder des Lebens an jedem einzelnen Tag, suchen Sie in sich selbst nach dem, was Sie für uneingeschränkt halten, schließen Sie so viele tiefe Freundschaften wie möglich, kultivieren Sie Ihren Sinn für Spiel und Kreativität, machen Sie regelmäßig Bewegungsübungen und essen Sie das gesündeste Essen, das Sie finden können. Oft reicht ein Wechsel zu einer gesunden Lebenspraxis und deren Erhaltung aus, um viele Leiden zu vermeiden und die Krankheiten, die auftreten, zu lindern. Genießen Sie das Leben aus so vollen Zügen, daß Sie es nicht bereuen, wenn Sie ernsthaft krank oder behindert werden sollten.

Bei der Auswahl eines Heilers sollten Sie sich fragen, welcher Art von Fachleuten der Gesundheitsfürsorge Sie trauen. Mindestens einen von ihnen sollten Sie als „Hausarzt" auserwählen. Das sollte ein Mensch sein, dem Sie sich vollkommen anvertrauen können, und zwar mit all ihren Informationen über ihre körperliche und emotionale Gesundheit. Ihr Hausarzt sollte bereit sein, all diese Bereiche ausführlich zu untersuchen und Sie in einer Weise zu unterstützen, die Sie und Ihre Familie zufriedenstellt. Im Idealfall sollten Sie versuchen, einen Arzt oder Heilpraktiker zu finden, der auch Ihr Freund sein will. Sie sollten bereits Ihre Auswahl treffen, solange Sie gesund sind.

Wenn Sie sich keinen Arzt leisten können, dann versuchen Sie, eine hilfreiche Beziehung mit jemandem aus dem Bereich der Heilkünste aufzubauen – zu einer Krankenschwester, einem Pastor, einem Gesundheitsberater oder einer Sozialarbeiterin –, damit Sie mit Ihren Gesundheitsfragen nicht allein dastehen. Die zentrale Person sollte von all Ihren anderen Heilern alle Informationen über Sie bekommen. Es wäre für Sie selbst ebenfalls nützlich, all diese Informationen zu kennen.

Versuchen Sie sich um Ihre Gesundheitsfürsorger zu kümmern, egal, wie schlecht Sie in der Vergangenheit von anderen Fachleuten behandelt worden sein mögen. Wenn Sie sich schließlich einen Gesundheitsbetreuer ausgesucht haben, gehen Sie voller Vertrauen, Begeisterung, Aufgeschlossenheit und Freundlichkeit in die Beziehung hinein. Es gibt eine Menge Schmerz in den Heilkünsten. Viele Heiler fühlen sich ausgebrannt, frustriert, verärgert und depressiv. Benehmen Sie sich also, als wollten Sie ihren Tag bereichern und erinnern Sie sie daran, warum sie ursprünglich zur Medizin gekommen sind. Versuchen Sie, entspannt, respektvoll (nicht anbetend) und geradeaus zu sein. Suchen Sie sich Gesundheitsfachleute, die Augenkontakt lieben, die Sie berühren, freundschaftlich sind, mitfühlend und hoffnungsvoll wirken und ihre Verwundbarkeit mitteilen. Wenn ein Heiler etwas tut, was Sie beunruhigt, dann sprechen Sie ihn freundlich, aber mit Bestimmtheit darauf an.

Seien Sie ein geduldiger Patient. Wenn Sie erwarten wollen, daß Ihr Betreuer in Sachen Gesundheit aufmerksam und gründlich mit Ihnen umgeht, dann müssen Sie Verständnis haben und das Warten im Wartezimmer akzeptieren. Eine medizinische Praxis ist kein Schnellimbiß, wo alle Bedürfnisse und Lösungen klar sind und sofort befriedigt werden können. Eine gewisse Zeit der Muße ist wichtig, damit sich Patient und Arzt aufeinander einstellen können. Wie dem auch sei, wenn Ihr Arzt ständig zu spät kommt, können Sie in Betracht ziehen, ihn oder sie zu bitten, etwas weniger Leute auf seinen Terminplan zu setzen. Es ist jedoch noch viel besser, wenn Sie nach kreativen Lösungen suchen, wie Ihr Heiler einen Raum gestalten kann, in dem das Warten Spaß macht. Bieten Sie Lösungen an und seien Sie bereit, etwas Zeit zu opfern, um ein spritziges Wartezimmer einrichten zu helfen. Es könnte eine Arena für Gesundheitserziehung oder heilende Gruppeninteraktion werden. Oder es könnte zu einem Ort der Entspannung werden, an dem durch Meditationsübungen oder Biofeedback48 der Streß gelöst wird. Die Patienten könnten Kunsthandwerk betreiben oder Bücher darüber lesen. Oder Sie könnten mit anderen Patienten Gespräche führen, um sich gegenseitig den Schmerz zu erleichtern, sich Anregungen zu geben, die Möglichkeiten in der Gemeinde zu erörtern, Kochrezepte auszutauschen, neue Freundschaften zu schließen und noch so vieles mehr. Letztendlich könnte Ihr Angebot, Ihrem Arzt zu helfen, die Beziehung zwischen Ihnen vertiefen.

Bitte bereiten Sie sich auf die Interaktionen mit Ihrem Heiler gut vor. Überprüfen Sie Ihr Leben, sprechen Sie mit Freunden und Familienangehörigen, und kommen Sie mit der umfangreichsten Einsicht über sich selbst und Ihre Bedürfnisse wie nur irgend möglich. Bringen Sie eine Liste mit Ihren Fragen und bestehen Sie darauf, daß sie geklärt werden. Lassen Sie bitte nichts aus – und denken Sie daran: Sie sind es wert, daß Ihnen all diese Aufmerksamkeit zuteil wird.

Machen Sie sich über die Kosten keine Sorgen. Holen Sie sich die medizinische Betreuung, die Sie brauchen, und zahlen Sie jeden Monat so viel, wie Sie können. Fragen Sie immer, ob es billigere Alternativen gibt. Schauen Sie sich um, wenn die Kosten hoch sind. Überlegen Sie, ob Sie Ihre eigenen Fertigkeiten gegen medizinische Dienste eintauschen könnten. Die Kosten für Fürsorge sind so ungeheuer hoch geworden, daß Sie sich wegen Ihrer Zahlungsverpflichtungen nicht schuldig zu fühlen brauchen. Das Problem steckt im Gesundheitssystem, nicht in Ihrer Erwerbsfähigkeit. Erwägen Sie, freiwillige Dienste für Ihre Gesundheitsbetreuer zu leisten, oder vielleicht sogar gemeinschaftliche Unterstützung für sie zu organisieren, damit sie nicht so viel berechnen müssen.

Bitte prozessieren Sie nicht gegen Ihre Betreuer. Wenn Sie Ihre Hausarbeiten gemacht haben, werden Sie von Heilern umgeben sein, die Sie lieben und die Ihnen am Herzen liegen. Dann können Sie auch sicher sein, daß sie keine Kurpfuscherei betreiben. Sie taten das Beste, was sie in einem unvollkommenen System tun konnten. Der sicherste Schutz gegen Verletzungen durch das Gesundheitssystem besteht darin, mit größter Sorgfalt auf die Gesundheit zu achten.

Wenn Sie an mehr als ein Gesundheitssystem glauben, dann suchen Sie nach Betreuern, die alle Arten des Heilens respektieren und die auch Ihre Entscheidung berücksichtigen, wenn Sie mehr als eine Methode benutzen wollen. Im Idealfall finden Sie Heiler, die gemeinsam für Sie arbeiten.

Wenn Sie zum idealen Patienten werden, können Sie zu einer Lösung für unser krankes Gesundheitssystem beitragen.

 3. Humor und Heilung – Warum wir ein albernes Hospital bauen

Menschen sehnen sich nach Lachen als ob es eine essentielle Aminosäure wäre.

Die Ankunft eines guten Clowns übt einen vorteilhafteren Einfluß auf eine Stadt aus als zwanzig mit Medikamenten beladene Ärsche.

Humor ist ein Mittel gegen alle Krankheiten. Ich glaube, daß Spaß ebenso wichtig ist wie Liebe. Wenn Menschen gefragt werden, was ihnen am Leben gefällt, beschreiben sie in letzter Konsequenz das, was ihnen Spaß macht – ob das nun Autorennen fahren, Tanzen, Gartenpflege, Golfspiel oder Bücher schreiben ist. Philosophisch gesprochen bin ich überrascht, daß alle immer so ernst sind. Das Leben ist ein so großes Wunder, und es ist so schön, am Leben zu sein, daß ich mich frage, wie irgendein Mensch auch nur eine Minute verschwenden könnte?!

Jeder, der in den letzten vierzig Jahren ein Exemplar von Reader’s Digest in der Hand hatte, weiß, daß Lachen die beste Medizin ist. Soweit ich weiß, ist diese Wahrheit trotz ihres empirischen Charakters niemals vom Hauptstrom der medizinischen Literatur widerlegt worden. Norman Cousins50 schrieb in seinen späten Jahren ausdrucksvoll darüber, wie er sich „gesund gelacht" hat, als er an einer chronischen Krankheit litt. Die Erfahrung hatte eine so starke Einwirkung auf ihn, daß er in fortgeschrittenem Alter noch den Beruf wechselte, um diese Information in die Medizin einzubringen. Für Sigmund Freud51 war der Witz anscheinend wichtig genug, daß er über dieses Thema ein Buch schrieb. Doch es ist gar nicht nötig, daß uns Fachleute über die Anziehungskraft des Humors erzählen. Unsere Einsicht ist groß genug, um von einem lustigen Menschen zu sagen, daß er „echt Leben in die Bude bringt".

Humor wurde durch die gesamte Geschichte der Medizin, von Hippokrates52 bis hin zu Sir William Osler53, als gesundheitsförderndes Mittel stark angepriesen. Als die Wissenschaft die Medizin zu beherrschen begann, wurden subjektive Behandlungsmethoden wie Liebe, Vertrauen und Humor auf den Rücksitz verfrachtet, weil es schwierig war, ihren objektiven Wert zu untersuchen. Es erstaunt mich immer wieder, daß Menschen das Bedürfnis empfinden, etwas Offensichtliches zu beweisen. Wenn individuelle Personen oder Gruppen befragt werden, was für das Wohlbefinden am wichtigsten ist, steht Humor stets als erstes auf der Liste, sogar noch vor Liebe und Vertrauen, von denen viele Menschen das Gefühl haben, sie hätten bei ihnen versagt. Selten wird bestritten, daß ein guter Sinn für Humor lebenswichtig für eine erfolgreiche Ehe ist. Alle öffentlichen Redner sind sich darüber klar, daß Humor ein wirksames rhetorisches Mittel ist, um Aufmerksamkeit auf das Gesagte zu lenken.

Menschen sehnen sich nach dem Lachen, als ob es eine essentielle Aminosäure wäre. Wenn uns das Weh der Existenz ergreift, suchen wir vordringlich durch Komik Erleichterung. Je mehr Emotionen wir in eine Angelegenheit investieren, desto heftiger ist gebundene Energie für schallendes Gelächter in der Anlage vorhanden. Sex, Ehe, Vorurteile und Politik liefern ein endloses Reservoir humoristischer Ideen; und trotzdem wird Humor in der Welt der Erwachsenen geleugnet. Beinahe überall in der Geschäftswelt, der Religion, der Medizin und der akademischen Welt ist der Humor degeneriert und wird sogar verdammt – abgesehen von Ansprachen und Anekdoten. Die Betonung liegt auf Seriosität, und es wird stillschweigend vorausgesetzt, daß Humor nicht dazu paßt. Die Gesundheitserziehung bemüht sich kaum, die Tugend der Leichtigkeit zu erschließen. Im Gegenteil, Krankenhäuser sind bekannt für ihre melancholische Atmosphäre. Obwohl Angehörige des Krankenhauspersonals untereinander vielleicht gerne kameradschaftliche Freuden teilen, scheint bei den Patienten ihr Ziel zu sein, Leiden mit Leiden zu bekämpfen. Wie wenig Humor es gibt, wird bei den Ärztevisiten am deutlichsten.

Der Brennpunkt Humor beim Gesundheit!-Institut wurde oft zum Haupthindernis bei der Beschaffung von Geldmitteln erklärt. Doch ich bestehe immer noch darauf, daß Humor und Spaß (letzteres ist angewandter Humor) gemeinsam mit Liebe als gleichberechtigte Partner zu den entscheidenden Zutaten eines gesunden Lebens gehören.

Obwohl Humor selbst schwer zu bewerten ist, kann die Reaktion auf ihn – Lachen – ohne weiteres untersucht werden. Wissenschaftliche Forschung hat bewiesen, daß Lachen den Anteil der natürlichen Chemikalien erhöht, Catecholamine54 und Endorphine55, die in uns Menschen schwungvolle und gute Gefühle auslösen. Es senkt außerdem die Absonderung von Cortisol56 und vermindert die Ablagerungsmenge, infolgedessen werden die Immunreaktionen stimuliert. Der Sauerstoffgehalt im Blut steigt an, und die Luftrückstände in den Lungen werden reduziert. Zunächst steigen Puls und Blutdruck; dann entspannen sich die Arterien, wodurch Puls und Blutdruck wieder fallen. Die Temperatur der Haut steigt aufgrund der erhöhten Durchblutung der Außengefäße. Daher scheint Lachen positive Auswirkungen für viele Herz- und Atembeschwerden zu haben. Außerdem ist Lachen eine erstklassige Übung zur Muskelentspannung. Muskelphysiologen haben aufgezeigt, daß Ängste und Muskelentspannung nicht gleichzeitig auftreten können und daß die Nachwirkungen der Lockerung bis zu fünfundvierzig Minuten andauern können.

Psychologisch gesehen bildet Humor die Grundlage einer stabilen geistigen Gesundheit. Mit Sicherheit deutet der Mangel an Sinn für Humor auf unterschwellige Probleme wie Depressionen oder Entfremdung hin. Humor ist ein ausgezeichnetes Gegenmittel gegen Streß und ein wirksames gesellschaftliches Schmiermittel. Da liebevolle menschliche Beziehungen so gesund für unsere Seele sind, ist es geradezu unsere Pflicht, eine humorvolle Seite zu entwickeln.

Ich bin zu der Überzeugung gekommen, daß Humor lebenswichtig für die Heilung von individuellen, kommunalen und gesellschaftlichen Problemen ist. Ich bin dreißig Jahre lang ein Straßenclown gewesen und habe versucht, mein eigenes Leben albern57 zu gestalten. Albern <silly> bedeutete ursprünglich in vielen verschiedenen Sprachen selig, gut, glücklich, begnadet, freundlich und fröhlich. Keine andere Eigenschaft ist mir jemals wichtiger gewesen. Mein Leben hat sich verändert, seit ich überall eine Pappnase trage. Stumpfsinn und Langeweile schmelzen dahin. Der Humor hat mein Leben fröhlich und lustig gemacht. Er kann für Sie das gleiche bewirken. Der Weg zum Kaufmann an der Ecke wegen eines vergessenen Liters Milch kann sich in eine amüsante Tollheit verwandeln, wenn man Unterwäsche über der Kleidung trägt. Die Menschen sind so frei heraus dankbar für jeden Gaudi, mit dem man sie unterhält.

Lustigsein wirkt wie ein starker Magnet für Freundschaft. Dieser Schatz ist das wichtigste im Leben. Nichts wirkt anziehender und erhält die Freundschaft besser als eine vergnügte Seele. Das trifft sowohl auf die Ehe zu – selbst nach zwanzig Jahren noch Spaß – als auch auf ein zufälliges Zusammentreffen im Flugzeug. Ich weiß, daß Humor der Kern dessen war, was in meinem Leben ein Burnout verhütet hat. Und schließlich habe ich als friedfertiger Mensch das Gefühl, daß mich mein Humor oft geschützt hat und mir half, potentielle Gewaltsituationen abzuwenden.

In der zwölfjährigen Versuchsphase des Gesundheit!-Instituts hatten wir während der Sprechstunden viele Gelegenheiten, die Beziehung zwischen Humor und Medizin zu erforschen. Obwohl wir gelegentliche Situationskomik sehr zu schätzen wußten, schien es unbedingt erforderlich zu sein, das Komische bewußt in unser tagtägliches Leben mit einzubinden, um eine Atmosphäre der Angst und Verzweiflung zu verhindern. Ein Teil des Humors floß durch die Witze ein, die von Patienten und Personal im Lauf der Zeit mitgebracht wurden. Doch wie dem auch sei, Witze sterben schnell, und wir fanden heraus, daß wir lustig leben mußten, um eine humorvolle Atmosphäre aufblühen zu lassen.

Wir lernten, zunächst eine Brise von Vertrauen und Liebe zu entwickeln, denn spontane Späße können beleidigend wirken, und wir wollten sie im Geiste des Versuches verstanden wissen. (Vorsichtige Leute sind selten komisch.) Uns wurde bald klar, daß Albernheit eine einflußreiche Macht war, um unseren Mitarbeiterstab als Freunde zusammenzuhalten. Und ich begann als Arzt die überzeugenden medizinischen Auswirkungen des Humors auf Krankheiten aller Art zu erkennen.

Für die Gesundheit einer Gemeinschaft ist Humor ebenso wichtig, sei es nun die Nachbarschaft, die Kirchengemeinde, ein Klub oder einfach ein Kreis von Freunden. Er half mir dabei, mehr als zwanzig Jahre gemeinschaftlich zu leben. In den ersten zwölf Jahren benutzten wir unser Zuhause als kostenloses Hospital und waren ständig von Patienten umgeben, die schwere geistige und körperliche Leiden hatten. Unsere Mitarbeiter blieben viele Jahre ohne Bezahlung und ohne Privatsphäre bei uns, weil es ihnen soviel Spaß machte. Als Ärzte entdeckten wir auch, daß Humor eine großartige Medizin war. Für das Gelingen unseres Versuchsprojektes war das Komische vielleicht noch entscheidender als die Liebe; ohne dieses starke soziale Bindemittel wäre es unmöglich gewesen.

Wir leben in einer sorgenvollen Welt. Viele Aspekte der Gesellschaft sind ungesund oder sogar tödlich, und große Teile der Bevölkerung leben am Rande des Abgrunds. Wenn wir die Gesellschaft „verarzten" wollen, müssen wir uns schwer auf den Humor verlassen. Oft erleben wir in der Öffentlichkeit Eltern und Kinder, die miteinander streiten, und der frustrierte Elternteil ist schnell bereit, das Kind zu schlagen. Wenn ich meine Pappnase aufsetze und „herumspinne", läßt sich die Lage meistens entschärfen, und weder die Eltern noch das Kind haben ein Gewinner/Verlierer-Gefühl.

Wie läßt sich mehr Humor in einen medizinischen Schauplatz injizieren? Zunächst muß die Entscheidung von der Verwaltung und dem medizinischem Personal gemeinsam getragen werden. Die wichtigsten Faktoren für gute Manieren am Krankenbett sind nicht die medizinischen Kenntnisse oder Fähigkeiten, sondern die Qualitäten, die dem Spaß und der Liebe innewohnen. Wenn sich das medizinische Unternehmen erst einmal dafür entschieden hat, mehr Humor zu akzeptieren, werden die Leute auf allen Ebenen des Betriebes bereitwillig Schritte in dieser Richtung unternehmen. Wenn Menschen miteinander vertraut sind, ist es am leichtesten, albern zu sein. Verbringen Sie miteinander Zeit, um Ihre Grenzen kennenzulernen, und üben Sie, komisch zu sein. Fordern Sie die Patienten und Besucher zum Mitmachen auf. Seien Sie offen für Experimente, und steigern Sie sich langsam. Seien Sie darauf vorbereitet, daß viele Experimente scheitern und vielleicht sogar etwas Schmerz verursachen können. Meiden Sie rassistische und sexistische Späße. Streben Sie schlichten Blödsinn und Spaß an und keine endlose Kette von Witzen.

In einigen Krankenhäusern haben derartige Prozesse bereits begonnen. In der Duke Universitätsklinik werden auf Handwagen Videos, Comics, Witzbücher, Jonglierausstattungen, Spielzeug und Gesellschaftsspiele ausgeliefert. Das DeKalb Krankenhaus in der Nähe von Atlanta hat einen Vitalitätsraum zum Toben geschaffen. Die Clowns des Big Apple Zirkus in New York City haben Clown-Fürsorge-Einheiten gebildet, die regelmäßig Kinderkrankenhäuser besuchen, um dort Freude hineinzubringen und die Patientenbetreuung zu unterstützen. Der Verband für therapeutischen Humor58 ist gerade dabei, ein Clearinginstitut mit Informationen über Humor ins Leben zu rufen und Fachleute, die ihn als Therapie anwenden, auszubilden. Und schließlich bauen wir vom Gesundheit!-Institut das erste alberne Hospital, in dem das gesamte Milieu auf Spaß und Spiel abgestimmt sein wird.

Es sind viele Wege zu erforschen. Ich denke, Krankenhäuser müßten ihre Patienten vor die Wahl stellen, ob sie auf einer verrückten Station oder lieber auf einer „ordentlichen", ernsten Station sein möchten. Ich habe bei meinen Vorträgen überall in den Vereinigten Staaten Gruppen aus medizinischen Kreisen befragt, welche der beiden Stationen sie sich wünschen würden, und stets entschieden sich mehr als 90% für die verrückte Station. In jedem Krankenhaus könnten ohne weiteres „Spaßzimmer" vorgesehen werden, als spielerisches Umfeld für alle, die sich amüsieren möchten. Das könnte viele kreative Menschen aus der Umgebung anlocken, mehr Nähe zwischen dem Krankenhaus und der Gemeinde entstehen lassen und die hierarchische Struktur der gegenwärtigen medizinischen Praxis vermindern.

Für alle Personalebenen empfehle ich Fortbildungskurse, intime Versammlungen, Picknicks und sogar Kuschelmeetings, um die notwendige Nähe zu kultivieren, die mehr Humor und Freude am Arbeitsplatz sicherstellen kann. Ich kann die Bildung von Interessengemeinschaften zur Förderung des Humors empfehlen sowie die Einrichtung eines Raumes, wo die Leute einfach hinkommen, um zu lachen. Viele Krankenhäuser haben die Bedeutung des Glaubens erkannt und Pfarrer bzw. Priester in den Mitarbeiterstab mit einbezogen. Das gleiche könnte für den Humor getan werden: Heuern Sie Clowns und andere verspielte Menschen an! In den meisten größeren Gemeinden gibt es Darsteller und Künstler, die eingeladen werden können, ihre Fachkenntnisse ins Hospital zu bringen. In manchen Kliniken könnte sogar erwogen werden, für sie einen Vorführungsraum einzurichten, inklusive Kostüm- und Requisitenräumen.

In der angewandten Medizin drückt uns auf vielen Ebenen der Schuh. Die Unzufriedenheit der Patienten ist so groß, daß viele in Gerichtsprozessen Zuflucht suchen. Viele Fachleute der Gesundheitsfürsorge sind so unzufrieden, daß sie ihren Beruf aufgeben oder sich sogar umbringen. Es gibt, wenn überhaupt, nur wenige glückliche Krankenhäuser. Die meisten Menschen hassen es, ins Krankenhaus zu gehen und haben traumatische Erlebnisse, wenn sie tatsächlich hin müssen. Doch das muß nicht so bleiben, wenn wir uns ernsthaft bemühen, es zu ändern. Dienst an Menschen in Zeiten von Schmerz und Leid sollte – und kann – reiche Erfüllung bringen. Lassen Sie uns den Humor anzapfen, damit die Medizin wieder Spaß macht.

 

 Arbeitsweise eines verrückten Doktors

Das weite Feld des Humors in der Medizin ruft nach mehr Erforschung. Als Anregung zur laufenden Forschung habe ich sieben Hinweise für Fachleute der Gesundheitsfürsorge ausgearbeitet. Da Humor sehr subjektiv ist, schlage ich vor, diese Ideen an verschiedenen Schauplätzen auszuprobieren. Denken Sie daran, Sie wollen versuchen, sich zum Narren zu machen. Zunächst kann das unangenehm sein, machen Sie sich also auf viel Übung gefaßt.

Dieses Feld läßt sich nicht erkunden, wenn Sie nicht mit vollem Herzen dabei sind; wie bei allen starken Heilmitteln kann es Probleme mit Nebenwirkungen geben. Ihr Ziel besteht nicht darin, andere Menschen zu verletzen oder ihren Schmerz zu verniedlichen, sondern an die Menschen, die leiden, Spaß heranzutragen. Die Natur des tiefen Leidens erfordert ein wenig Spaß als Gegenmittel.

Das Komische hat viele Gesichter, und die folgenden Ideen geben nur einen schmalen Ausschnitt der Möglichkeiten wieder. Ich lege Nachdruck auf mein eigenes Beklopptsein, damit das Lachen auf Kosten des Spaßmachers geht. Heiler, die empfinden, daß diese Geste nicht zu der Würde ihrer Stellung paßt, haben absolut recht, doch sie sollten nicht vergessen, daß die Entmenschlichung ihres Berufsstandes schwer ins Kreuzfeuer geraten ist. Wenn Sie um Ihr Image besorgt sind, empfehle ich Ihnen, sich eine wasserspritzende Rose als Dekoration ans Revers zu stecken, bis Sie von selbst auf Ihre humoristische Ader gestoßen sind.

Es wird Zeit, Lachen und Liebe miteinander zu verbinden, denn beides sind Hauptwege, um der Menschheit durch Heilung zu dienen. Ich habe das Gefühl, daß mangelnder Humor beim Glauben die meisten Menschen davon abhält, einem religiösen Pfad zu folgen. In vielen östlichen Religionen befinden sich Menschen auf dem Pfad der Erleuchtung, der eine persönliche Entwicklung verlangt, die man sich als das Aufsteigen der Kundalini (Lebenskraft) entlang der feinstofflichen Energiezentren (Chakra) bzw. als etappenweises Öffnen und Aufblühen dieser Stufenzentren vorstellt. Nach diesem Vorbild haben wir ein ähnliches System ersonnen, mit sieben „Lachmuskeln", die helfen können, der Medizin mehr Humor einzuflößen.

 Die Meister

Ein Neuling, der sich – ohne innere Orientierung – auf einem neuen Pfad versucht, sollte die alten Meister studieren, um herauszufinden, welche Richtung ihm am meisten zusagt.

 

Tote Meister gibt es in Hülle und Fülle: Aristophanes59, Shakespeare60, Molière61 und Mark Twain62 sind nur ein paar ausgewählte Komiker vergangener Zeiten. Wie traurig, daß uns heute nur so wenige Lehren der fahrenden Komödianten der Antike überliefert geblieben sind. In unserem Jahrhundert sind wir dadurch begnadet, daß es von vielen Meistern Filmaufzeichnungen gibt. Lassen Sie sich von ihnen inspirieren: Charlie Chaplin63, Buster Keaton64, W. C. Fields65, die Marx Brothers66, Laurel und Hardy67, Jerry Lewis68, Woody Allen69, Lily Tomlin, Monty Python70, Marcel Marceau71, Marty Feldman72, Liesl Karlstadt, Karl Valentin73, Heinz Rühmann74, Theo Lingen75, Insterburg & Co., Didi Hallervorden und wie sie alle heißen.

In Gottes Augen handeln mit Sicherheit die meisten Menschen drollig, also schlage ich vor, daß Neulinge versuchen sollten, in jeder Situation das kosmische Prickeln zu entdecken. Einige führende Persönlichkeiten haben uns gezeigt, daß menschliche Bedingungen sogar noch in der schlimmsten Agonie lächerlich erscheinen können. Dante76 nannte seine Wanderung durch die Hölle eine Göttliche Komödie; Balzac77 nannte sein Gesamtwerk Die menschliche Komödie.

Für manche Leute werden einige wenige Mentoren der Komik reichen. Für andere, die sich auf den Pfad des Blödsinns begeben, werden viele Lehrer nötig sein. Und vergessen Sie nicht die Situationskomik – schauen Sie sich in ihrer Gemeinde und im Kreise ihrer Freunde nach Leuten um, die anderen Menschen das Kichern aus dem Bauch locken. Es wimmelt nur so von unbesungenen Meistern, die Ihnen das Reich des Unsinns in Ihrem spezifischen Umfeld zeigen können. Treiben Sie sich mit diesen Charakteren herum, und Ihre humoristischen Talente werden sich schnell entwickeln.

 

 Mantras

Die magische Formel des Humors ist das Lachen, sei es nun ein Kichern oder ein schallendes Gelächter. Es gibt eine großartige Szene in Mary Poppins79, in der Ed Wynn80 vom Lachen so stark überwältigt wird, daß er an die Decke schwebt und singt:

Ich liebe es, zu lachen

Lange und laut und klar

Ich liebe es, zu lachen

Es wird jedes Jahr schlimmer.

Je mehr ich lache

desto mehr füllt mich die Fröhlichkeit

desto mehr bin ich ein glücklicherer Mensch.

 

 

Er lacht beim Singen die ganze Zeit. Denken Sie an diesen Refrain und schlagen Sie regelmäßig ein Lied an – Sie werden sehen, wie ansteckend das wirkt. Tun Sie es wahllos und an allen möglichen und unmöglichen Orten und Zeitpunkten. Um Ihre lachende Stimme zu finden, experimentieren Sie am besten mit vielen verschiedenen Kombinationen von Ha, Hi und Ho! Das Lachen sollte kein stummes Mantra sein. Setzen Sie sich ein Ziel: Einen Monat lang mindestens dreimal täglich in der Öffentlichkeit spontan loslachen. Jawohl! Gestikulieren, modulieren und transponieren Sie viele Varianten des Lachens in jeder vorstellbaren Umgebung, insbesondere, wenn Ihnen Ihre innere Stimme sagt: „Nicht hier." Sie stehen in einer Reihe am Fahrkartenschalter und …

 

 Kinderspiele

Kinder sind das ideale Publikum für jeden Pilger auf dem Pfad des Blödsinns. Erstens gibt es eine Menge von ihnen. Zweitens ist ihr Geschmack unkritisch; solange Sie ihnen keine Angst machen, werden Sie sie leicht zum Lachen bringen. Bei all der Ernsthaftigkeit, mit der sich Kinder konfrontieren müssen, und all den Frustrationen, die Erwachsene erfahren, wenn sie mit ihnen umgehen müssen, werden Sie helfen, eine heilende Gemeinschaft ins Leben zu rufen, wenn Sie Ihre Verrücktheiten bei ihnen praktizieren. Das Spielen mit Kindern hat einen großen Vorteil: Es gilt in der Öffentlichkeit als akzeptables Verhalten. Somit kann sich ein Anfänger ohne Hemmungen und Angst vor der Zensur an den Ulk gewöhnen.

Suchen Sie bei Kindern auch nach Inspiration und Anleitung zur Spontaneität, weil sie unwillkürlich-instinktiv lustig sind. Die meisten Erwachsenen sind willkürlich, intellektuell absichtsvoll komisch. Eine der diagnostischen Methoden, die ich benutze, um zu bestimmen, ob ein Kind zum Erwachsenen geworden ist, besteht darin, in Erfahrung zu bringen, wie er oder sie auf Humor reagiert. So ist es eigentlich kein Wunder, daß man von der „zweiten Kindheit" spricht, wenn sich ein Erwachsener in hohem Alter wieder freizügiger benimmt. Trainieren Sie all ihre Lachmuskeln täglich mit Kindern. Oder gehen Sie wenigstens einmal wöchentlich dorthin, wo sich Kinder versammeln, und spielen Sie mit ihnen.

 Grimassen

Sich selbst zum Narren zu machen ist keine leichte Aufgabe, jedenfalls nicht für jeden. Deshalb sollten Witzposen oder Grimassen täglich geübt werden. Ich will nur ein paar Grimassen für unsere Anfänger erwähnen und die etwas komplizierteren Körpergebärden den Fortgeschrittenen überlassen. Fratzen schneiden sollte vor einem Spiegel geübt werden, damit Sie die Feinheiten lernen können. Wenn Sie erst einmal ein wenig Herr über das Mienenspiel geworden sind, dann gehen Sie in die Öffentlichkeit, um es auszuprobieren. Kinder vermitteln dem Anfänger den besten Ansporn.

Zur Einstimmung lege ich gerne Walzermusik auf und lasse meine Gesichtsmuskeln im Takt der Musik tanzen. Es gibt einen Gesichtsausdruck, genannt der Räucherhering, bei der man die Backen so weit wie möglich aufbläht, die Augen hervorquellen läßt und Stielaugen macht. Als schönes Finale läßt man die Luft heraus puffen. Bei einer anderen Fratze, genannt der Wirrkopf, streckt man die Zunge heraus und bewegt sie in die Mundwinkel, rollt die Augen und macht Kehllaute. Beide Mienenspiele eignen sich vorzüglich für die Warteschlange vor der Kasse im Supermarkt, wenn vor Ihnen ein Kind der Mutter über die Schulter schaut.

Aufgrund der breiten Verschiedenheit der Gesichtsmuskulatur steht dieses Feld weiteren wissenschaftlichen Untersuchungen völlig offen. Ich rate allen werdenden Narren, etwa eine halbe Stunde täglich vor dem Spiegel zu verbringen, bis diese kurze Zeit nicht mehr ausreichend erscheint. Lernen Sie, sich mit sich selbst wohl zu fühlen. Je größer der Spiegel, um so besser ist es. Tragen Sie Kostüme, gehen sie nackend, benutzen Sie Masken, achten Sie jedoch darauf, was Sie zum Lachen bringt. Ich lege gerne Musik auf, lasse die Gesichtsmuskulatur dazu tanzen und langsam den Rest meines Körpers mit einfallen. Wenn Sie etwas entdecken, was Ihnen gefällt, dann können Sie es üben und sich dann merken.

 Lächerliche Kleidung

Hier ist ein weiteres Feld mit grenzenlosen Möglichkeiten: Aufgrund der Engstirnigkeit modischer Normen bringt jegliche Kleidung die Menschen zum Lachen, die den Rahmen des Üblichen sprengt. Sicherlich fällt einem für extreme Zwecke ein Clownkostüm ein. Nehmen Sie irgendeinen Ihrer Anzüge und nähen Sie farbenfrohe Flicken darauf – schrille Farben sind für das Kichern entscheidend. Gehen Sie auf Flohmärkte und suchen Sie nach Schätzen. Allein schon gewagte Socken können gelegentlich ein Glucksen hervorrufen. Ich liebe es, Farben zu kombinieren, die sich beißen und Streifen und Karos zu mischen. Dabei ist der Lacherfolg immer todsicher. Hüte gehören zu den einfachsten Mitteln, um Spaß zu bekommen. Sollte ich vielleicht einen Feuerwehrhelm empfehlen, oder einen Astronautenhelm mit pfeifendem Mundstück? Meine Frau nähte mir einst eine Weihnachtsmannverkleidung. Wer kann die Leute besser zum Lachen bringen, als Herr Ho Ho Ho persönlich? Probieren Sie es aus, sagen wir mal, im März oder im August. Ihre Patienten werden begeistert sein. Was die Mode anbetrifft, au wei, da ist unsere Geschichtsperiode wirklich eine der langweiligsten. Suchen Sie in der Geschichte nach Anregungen, und übersehen Sie ja nicht die Hosenträger! Ich entdeckte immer wieder Tricks, wie man mit ihnen spielen kann. Unsere Aufgabe besteht hier darin, das unmöglichste Kostüm zu suchen, das sich nur finden läßt, und es so lange zu tragen, bis Sie vergessen, daß Sie es anhaben. Der schwierigste Part besteht darin, sich in der Öffentlichkeit so zu verhalten, als sei alles ganz normal.

 

 Scherzartikel

Hier ist ein Feld der Heiterkeit, das die menschliche Vorstellungskraft erleuchten läßt. Mit ein wenig Übung kann beinahe alles komisch sein. Doch es gibt da ein paar Utensilien, die in jede Arzttasche gehören. Eine meiner am meisten bevorzugten Quellen ist Al’s Zauberladen in Washington D.C. – kein Kind sollte ohne eine Lachbox herumlaufen, ein sofort wirkendes Mittel für jede Gelegenheit. Oh, wie ich diese Dinge liebe, die in meine Taschen passen: Handsummer, Furzkissen, Luftballons, Jo-Jos81 oder Klapperzähne. Wenn Sie anfangen, Ihre Scherzartikel überall zu benutzen, wo sie hinkommen, werden Sie bald merken, welches der ideale Moment ist, um sie hervorzuholen. Niemand kann den allgemein beliebten Lampenschirm in Ihrer Hand ignorieren. Das Schlüsselwort heißt: Experimentieren. Üben Sie, mit Gegenständen zu improvisieren, die eigentlich nicht komisch sind: ein Stein, ein Schuh, Objekte, die herumliegen und nur darauf warten, daß Sie sich über sie lustig machen. Wo Sie auch sind – die Zeit, die in einer Warteschlange verbracht wird, bietet reichliche Möglichkeiten – nehmen Sie ein Objekt in die Hand und werten Sie es in rascher Folge auf viele verschiedene Arten aus. Die Kinkerlitzchenindustrie hat aus dieser Idee Kapital geschlagen.

 

 Eine rote Pappnase

Als ich 1970 ein Student der höheren Semester war, arbeitete ich sieben Monate lang in einer kostenlosen Abendklinik im Hippiestil. Es war meine erste Begegnung mit dem tiefen menschlichen Leid, das Ärzte tagtäglich sehen. Da ich genügend Zeit mit den Patienten verbringen konnte, erfuhr ich, daß Medikamente selten das menschliche Leid erleichtern. Ich sah, wie schlecht ausgerüstet wir als Heiler sind, wenn es darum geht, die Lebensqualität der Patienten zu verbessern. Ich erlebte mit, wie das bei vielen Heilern bewirkte, daß sie mutlos und distanziert wurden. Bei näherer Untersuchung stellte sich heraus, daß sich die Lebensqualität für Patienten und Heiler anscheinend verbesserte, wenn man sich mit Liebe und Lachen selbst behandelte.

Es schien mir für einen Arzt ehrlich und normal zu sein, Liebe als Ausdruck von Mitgefühl und Fürsorge einzubringen. Doch Humor zu verabreichen war etwas anderes. Ich probierte Scherze aus, aber sie besaßen nicht das Potential, das ich suchte. Also entschloß ich mich, das Spaßmachen zu erforschen. Ich entdeckte, daß es wichtig ist, durchgehend närrisch zu sein, damit die Leute merken, daß es eben genau meine Art ist.

Als ich in der erwähnten freien Klinik arbeitete, probierte ich eine rote Pappnase aus und begann später, einen Feuerwehrhelm zu tragen. Es brachte sofort einen Hauch der Leichtigkeit in das sonst so schwermütige Wartezimmer. Ich trug diese Maskerade überall, und die 50-Pfennig-Nase rief viele Lachsalven hervor. Oft passierte es, daß in einem Autostau während der Hauptverkehrszeit ein offensichtlich frustrierter Autofahrer zu mir herüberschaute, die Nase sah und lachte. Ich verliebte mich in die Nase.

Vor ein paar Jahren wurde meiner Mutter ein Bein amputiert, weil sie ihr Leben lang geraucht und daher eine schlechte Durchblutung hatte. Als sie aus ihrer Narkose erwachte, beugte ich mich mit meiner roten Nase über sie; ich lachte leise und sagte: „Nun, ich glaube, jetzt weißt du, was es heißt, mit einem Fuß im Grab zu stehen!" Sie lachte darüber und erzählte jahrelang anderen Leuten voller Freude diese Geschichte. Das konnte ihr nicht das Bein zurückgeben, doch es schenkte ihr die tatsächliche Hoffnung, weiter am Leben Freude finden zu können.

 

 Nasal-Diplomatie: Ein lustiger Weg zum Weltfrieden

So geschieht es, daß, wenn sonst die Menschen einander nicht wohl gesinnt sind, alle dennoch den Toren gleichermaßen als einen der ihren betrachten; er wird erwartet, gewartet, verwöhnt, umarmt. Alles eilt zu Hilfe, wenn ihm etwas zugestoßen ist, und straflos geht er aus, ganz gleich, was er gesagt oder getan haben mag. Niemand will ihm schaden, selbst die wilden Tiere schonen ihn, gerade als hätten sie ein Gefühl für die natürliche Unschuld meiner Anhänger. Denn diese sind wahrscheinlich den Göttern heilig, vor allem aber mir, so daß sie vollkommen zu recht allseitig hoch geachtet werden.

Erasmus von Rotterdam in Lob der Torheit 82

Die Einladung besagte, daß eine Gruppe von Bürgern im Mai 1985 in einer Friedensmission als Volksdiplomaten nach Rußland fahren werde. Fünfundsiebzig Ärzte, Lehrer, Pfarrer, Filmstars und andere führende Persönlichkeiten aus den USA sollten dort mit der Absicht ihre Kollegen treffen, unseren Regierungen zu helfen, die Kluft zwischen unseren beiden Ländern zu überbrücken. Mit Sicherheit wünsche ich mir Frieden mehr als alles andere, was ich mir vorstellen kann. Und es ist kein Geheimnis, daß ich das Gefühl habe, die Diplomatie unseres Landes könnte eine Menge Hilfe gebrauchen. Aber was ist ein Volksdiplomat? Dahinter steckte eigentlich der Gedanke, daß weitreichende Ergebnisse erzielt werden könnten, wenn wir einfach nach Rußland fuhren, und zwar nicht als Touristen, sondern als Bürger für den Frieden. Könnten wir die „Rote Gefahr" auf dieser Ebene vermindern, für individuelle Menschen mit ihren Familien, die gerne fischen oder tanzen gehen und die sich eine sichere Zukunft wünschen? Könnten wir miteinander Freundschaft schließen? Die Diplomatie wollte also ein Lied der Nachbarschaft und Gastfreundschaft singen. Das direkte Handeln wurde unterstrichen, um Kommunikation und Liebe zwischen zwei Ländern voranzutreiben, die anscheinend in tödlicher Fehde lagen. Es war keine Rede von diplomatischen Treffen im Kreml, die den Politikern vorbehalten bleiben. Unsere Mission bestand darin, dem russischen Volk die Hand zu reichen. Wir wurden sogar dafür geschult, Spiele wie „U-Bahn-Roulette" zu spielen: Wir sollten so lange mit U-Bahnen und Bussen umherfahren, bis wir uns hoffnungslos verirrt hatten und dann die Hilfe von Russen in Anspruch nehmen, um wieder zurückzufinden.

Ich konnte die Abreise kaum erwarten. Ich hatte Rußland schon elf Jahre zuvor in einer Gruppe von vierzehn Freunden besucht. Wir waren in einem alten Bus bei Brest über die polnische Grenze nach Rußland eingereist. Die wundervolle Zeit, die wir dort verbrachten, hatte mein „Feindbild" in ein Gefühl großer Hoffnung umgewandelt. Ich erlebte eine leidenschaftliche, freigebige, tanzende Bevölkerung, die durch den Zweiten Weltkrieg zugrunde gerichtet worden war. (Im Gegensatz zu unseren 300.000 Toten starben zwanzig Millionen Russen). Sie schienen sich aufrichtig nach Frieden zu sehnen. Ich fand Freunde, mit denen ich immer noch korrespondiere. Ich kann mich noch erinnern, daß ich auf dieser Reise witzelte, wir seien Botschafter für den Frieden. Nun hatten wir eine Gelegenheit, mit dieser speziellen Absicht dort hinzureisen.

Ich konnte die Samen des Friedens nicht durch Gespräche säen, weil ich kein Russisch sprach. Doch wollte ich meinen Einfluß nicht nur auf die Menschen beschränken, die gut Englisch sprachen. Also entschloß ich mich, als Clown zu reisen – als ein Narr. Ich hatte mehr als zwanzig Jahre Erfahrungen als Straßenclown gesammelt und kannte die Kraft, mit der man gute Laune verbreitet. Die Rolle des Clowns ist überall bekannt und hat eine lange Tradition in Rußland. Aufgrund meiner vorherigen Reise sah ich einer positiven Aufnahme zuversichtlich entgegen. In Rußland gibt es kein Straßentheater. Aus Sicherheitsgründen halten sich die Menschen im Hintergrund und meiden es, Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Somit wurde die Rolle automatisch zum Eisbrecher, ein Magnet für Neugierige! Und wenn ein Russe erst einmal nahe genug heran kommt, wie ein Fisch an den Köder, und die Friedens- und Freundschaftsplaketten sieht, dann folgt bald das Vertrauen einer warmen Hand, und ein funkelndes Auge verrät, daß ein Freund an der Angel hängt. Ich wußte auch, daß Clowns von Kindern geliebt werden. Wenn Familien sahen, daß ihre Kinder von einem Clown geliebt und zum Lachen gebracht wurden, trafen die dreißig Wörter unseres Friedensvokabulars voll ins Schwarze.

Ich überlegte hin und her und nahm Rücksprache mit Freunden über die Clown-Idee. Die meisten rieten zur Vorsicht und schlugen vor, daß ich das Clownkostüm für besondere Gelegenheiten mitnehmen und die meiste übrige Zeit „normal" sein sollte. Es bestand die Besorgnis, daß die Russen sich durch jemanden, der so auffällig zu sehen war, verspottet oder verängstigt fühlen könnten. Lynda, meine Frau, erinnerte mich auch daran, wie heftig die Gefühle waren, die bei anderen ausgelöst wurden, wenn sie mit einem Clown herumzogen, und wies darauf hin, daß mir meine Diplomatenkollegen eine derartige Schaustellung übelnehmen könnten. Nebenbei bemerkt ist es nicht ganz leicht, sechzehn Stunden täglich eine Pappnase zu tragen und zwei Wochen lang unterwegs herumzualbern. Ich wußte, daß ich die ganze Zeit über in meiner Rolle bleiben mußte, wenn ich mich als Clown anzog. Ich vermute, es waren meine Erfahrungen aus der Vergangenheit, die mich schließlich überzeugten, der Stimme meines Herzens zu folgen, die mir sagte, es würde ein atemberaubendes Erlebnis werden. Liebe und Lachen sind anscheinend die primären Zutaten für den Frieden. Ich wollte soviel Leben berühren, wie nur irgend möglich war, zeigen, daß mir die Sache am Herzen lag, und ein nachhaltig gutes Gefühl hinterlassen.

Ich bezeichnete mich selbst als Nasal-Diplomaten. Ich machte mir einen „Spaßport" mit albernen Fotos, auf denen ich zwanzig verschiedene Nasen trug. Das sollten meine offiziellen Papiere bei irgendwelchen Konfrontationen werden – also ließ ich sie ins Russische übersetzen. Ich kaufte mir einen Haufen Pappnasen. Sie waren meine Geschenke für den Frieden, mit denen ich weitere Nasenbotschafter anwerben wollte.

Die fünfundsiebzig Diplomaten verbrachten drei Tage gemeinsam am Rande von Helsinki, um miteinander bekannt zu werden und um zu versuchen, eine kameradschaftliche Gruppe zu bilden. Wir hörten Vorträge über russische Geschichte, Sitten und Psychologie und machten einen Schnellkurs: „Dreißig Wörter des Friedens und der Freundschaft". Ich kostümierte und benahm mich als Clown, damit sich die Teilnehmer an meine Albernheit gewöhnen konnten. Zu Anfang, als ich gerade angekommen war, spürte ich, daß ganz schön viele meiner Kollegen über meinen Plan beunruhigt waren und sogar dachten, daß er bei einer derart ernsthaften Mission fehl am Platze wäre. Wie dem auch sei, gegen Ende des Orientierungskurses erhielt ich sehr viel positives Feedback, denn es hatte den Leuten geholfen, sich zu entspannen und zu sich selbst zu finden. Vielen von ihnen machte es Angst, in einen totalitären Staat einzureisen. Unter dem Titel „Anleitung zum Unsinn" veranstaltete ich einen kleinen Workshop für meine Diplomatenfreunde und schenkte jedem von ihnen eine Pappnase, die sie beliebig benutzen konnten.

Schon bevor wir in Rußland ankamen, erhielten wir bereits eine Kostprobe der Nasal-Diplomatie. Eines Abends saßen Lynda und ich in der Hotellobby und neben uns ein Dutzend finnischer Männer, die nach einem ganztägigen Seminar für Bankangestellte feierten. Die Begegnung war für beide Seiten erfreulich, und schließlich fragte mich jemand, warum ich wie ein Clown angezogen sei. Das führte dazu, daß wir mit Umarmungen und besten Wünschen in ihre Feierlichkeiten mit aufgenommen wurden und mehrere Stunden gemeinsam schallend lachten, sangen und uns über unsere verschiedenen Kulturen austauschten.

Dann reisten wir nach Rußland ein. Nach unserem Reiseplan sollten wir elf Tage in Leningrad83 und Moskau84 verbringen. Die Erfahrung übertraf meine kühnsten Träume. Überall, wo wir hinkamen, lachten die Menschen aller Generationen spontan und begrüßten uns freundschaftlich. Formelle Situationen verwandelten sich schnell in eher entspannte Ereignisse. Der immer wiederkehrende, erfrischende Eindruck, der über die ganzen elf Tage andauerte, war das ungezwungene, spontane, strahlende Lächeln. Als wir am ersten Morgen in der Frühe nach Leningrad hinein kamen und an den Menschen in den Bussen und an den Straßenecken vorbeifuhren, sah ich, wie sich mein Glücklichsein in ihren Gesichtern widerspiegelte. Was für eine Magie! Unser erster Aufenthaltsort war der große Platz am Winterpalais, mitten in einer Flut von Touristenbussen, meist vollbesetzt mit Russen, die gekommen waren, um die Sehenswürdigkeiten ihrer großen Revolution zu besichtigen. Ich näherte mich den Gruppen mit meinem komischen Gesicht in schweigender Freude – begeistert schüttelten wir uns die Hände und umarmten uns – und wurde häufig aufgefordert, für ihre Gruppenfotos zu posieren, zwischen gedämpftem Geschnatter und Gekicher. An mein farbenfrohes Clownsgewand waren Plaketten angeheftet, die zum Frieden zwischen den Nationen aufriefen. Sie riefen begeisterte Äußerungen des guten Willens hervor. Diese Treffen endeten meist mit herzlichen Umarmungen und mit Tränen in den Augen sangen wir Mir i Druschba (Frieden und Freundschaft). Zum Nachtisch wurden die Familienfotos herausgeholt, und das seelenvolle Dahinschwinden der Barrieren war komplett. Ich spreche hier nicht von ein paar vereinzelten Momenten der Verzückung, sondern von einer Szene, die sich ständig wiederholte, wo immer wir hinkamen.

Eines Tages hielt mich ein gutaussehender Mann an, der im Ivy League85 Stil gekleidet war, und er sagte in perfektem Englisch, daß er mich beobachtet hätte. Meine Interaktionen mit den Leuten hätten ihm gefallen, und er wolle mich näher kennenlernen. Damals schenkte die Nasal-Diplomatie Lynda und mir das, was unsere intimste und nachhaltigste Freundschaft auf dieser Reise werden sollte. Wir verbrachten jeden Tag in Leningrad mit Alex und seiner Freundin Sveta. Er nahm sich frei und folgte uns nach Moskau. Alex war dreißig, graduierter Anglist, Bibliothekar und arbeitete nebenbei als Fremdenführer und Übersetzer im Eremitage Museum. Sveta studierte Architektur. Sie waren die perfekten Gastgeber! Alex war ein echter Fan von allem, was amerikanisch war; er hatte gerade eine Bestellung aus einem L. L. Bean-Katalog86 erhalten. Unsere Gespräche waren endlos, und wir ließen kein Thema aus. Ich war erstaunt, wie gut er den Slang im Griff hatte, in dem er pausenlos auf uns einredete.

Alex und Sveta nahmen uns in viele Restaurants mit, die eine Tanzfläche hatten und in denen keine Touristen waren. Wie sehr doch die Russen das Tanzen lieben! Die Band spielte alles, von Folklore bis Michael Jackson87. Leute jeden Alters tanzten allein, in Paaren und auch mit Tanzpartnern des gleichen Geschlechtes. Zu unserem Entzücken kamen die Russen ohne weiteres an fremde Tische, um jemanden zum Tanz aufzufordern, sogar einen Partner von einem fremden Paar. Wir wurden oft gebeten, ein paar feierliche Worte zu sagen, und von einem Tisch bekamen wir einen Liebesbrief. Wir fuhren zurück zur Wohnung von Alex, denn er wollte auf keinen Fall John Denver Special88 im Fernsehen versäumen. Während dieser fünf Tage aßen wir immer in einer Pizzeria (das war in den letzten Jahren ein großer Hit in Rußland), sahen eine Las-Vegas-Rückblick-Show, besuchten das Dostojewskij-Haus89 und unternahmen eine romantische Ruderbootfahrt durch ein Netzwerk von Kanälen in der Nähe von Alex’ Wohnung. Unsere letzten gemeinsamen Augenblicke waren am Roten Platz um drei Uhr morgens, wo Alex und ich um diese Zeit die einzigen Menschen waren – wir sangen Lieder, lachten und schmiedeten Pläne für die Zukunft. Als wir uns trennten, wußten wir, daß wir uns wiedersehen würden, und wir haben uns seither viele Briefe geschrieben.

Ich hatte noch ein weiteres rührendes Erlebnis in Leningrad. Wir liefen zu dritt durch die Straßen, in Gedanken versunken, als ich plötzlich ein kleines, warmes Händchen in meiner eigenen Hand fühlte. Als ich nach unten schaute, merkte ich, daß es zu einem vierjährigen Mädchen gehörte, das mit seinem Vater spazieren ging und die Hand des Clowns anfassen wollte, als es ihn sah. Wir tauschten unsere Liebe und unsere Nasen aus und gingen vergnügt weiter.

Ich habe immer Teenager gemocht, und russische Teenies waren ein bereitwilliges Publikum. Aus einiger Entfernung entdeckte ich einige Gruppen, die nach der Schule auf dem Heimweg waren. Sie sahen mich und brachen in Gelächter aus, was mein Stichwort war, um mich ihnen zu nähern und ihre Kichermaschinen anzukurbeln. Ich legte meinen Arm um sie und ging neben ihnen, ohne auch nur die geringste Spannung oder den kleinsten Widerstand zu spüren. Manchmal hielt ich eine Hand, während wir an einem Häuserblock vorbeigingen und vom Frieden sprachen. Diese Teenies vermittelten einen Hauch der Unschuld, der mich an die Vereinigten Staaten der 50er Jahre erinnerte. Was die Kleidung anbetraf, hatte seit unserer Reise vor elf Jahren eine dramatische Veränderung stattgefunden: Die Russen waren viel bunter angezogen und zeigten auf der Straße viel mehr von sich selbst. Ein junges Mädchen kam vor einem Museum auf mich zu, heftete eine Plakette aus ihrer Provinz an mein Jackett und errötete.

Eines Tages war ich mit Lynda und zwei befreundeten Musikern aus unserer Reisegruppe auf dem Roten Platz. Bei schönem Wetter ist der riesige Platz ein festlicher Ort und voller Touristen aus aller Welt. Viele Gruppen war aus ganz Rußland angereist, um den vierzigsten Jahrestag ihres Sieges im Zweiten Weltkrieg zu feiern. Wir blieben stehen und beobachteten eine große Gruppe von Männern und Frauen, deren stolze Brüste mit Medaillen übersät waren. Sie posierten für ein Foto. Sie kamen offensichtlich vom Lande, wirkten ungeschickt in ihren gelbbraunen, selten getragenen Anzügen, in denen sie sich in dieser neun Millionen Stadt amüsierten. Wir begannen russische Volksmusik zu spielen, und ich tanzte mit einer älteren Frau, während die anderen uns zujubelten und klatschten. Das war der Anstoß für eine lange Phase der Begegnung, in der Plaketten ausgetauscht, Fotos aufgenommen und Friedens- und Freundschaftslieder gesungen wurden. Die russischen Menschen, die wir trafen, schienen sehr schnell die Hand nach jeder Friedensfahne auszustrecken. Ich stieß niemals auf antiamerikanische Gefühle. Es war schwer, diese Erfahrung am Roten Platz zu beenden; ich hatte das Gefühl, so lange es andauerte, könnte es keinen Krieg geben.

Zu guter Letzt hatte ich noch ein wunderbares Erlebnis beim Moskauer Zirkus, als Helen, unsere liebenswürdige Reiseleiterin, für mich während der Pause ein Treffen mit dem Clown arrangierte. Ein Traum wurde für mich wahr. Ich war beladen mit Geschenken, mit Jazzkassetten, einer Pappnase, selbstgemachten Bällen zum Jonglieren und einem Angebot, eines Tages zurückzukehren, um eine russisch-US-amerikanische Straßenclown-Show zu versuchen. Der Clown lud mich ein, nach der Vorführung noch einmal wiederzukommen, um seine Familie kennenzulernen. Ich war völlig überrascht und voller Freude, als er mir seine wunderschönen handgefertigten Clown-Schuhe aus Ziegenleder schenkte und sagte: „Ich habe die Leute hier seit zwanzig Jahren mit diesen Schuhen zum Lachen gebracht. Nun wird es Zeit, daß du das gleiche damit bei dir zu Hause tust." Außerdem fügte er noch hinzu, er hoffe, daß die Welt durch Humor enger im Frieden zusammenwachsen möge.

Seit 1985 bin ich jedes Jahr wieder als Clown nach Rußland gereist, und jedesmal war der Eindruck großartiger. Die letzten vier Reisen waren allesamt auf zwanzig Personen begrenzt und mit der Auflage verbunden, daß alle einwilligten, als Clowns zu kommen. Unser Altersspielraum geht von zwanzig bis achtundsiebzig. Wir fahren zu Krankenhäusern, Waisenhäusern, Gefängnissen, und wir veranstalten Straßentheater. 1991 begleiteten uns einige Russen auf der gesamten Rundreise; nunmehr wird die Moskauer Clown Gasse gestaltet.

Auch viele Jahre nach dieser Erfahrung bleibe ich der Diplomatie des Alltags verbunden. Ich wußte, daß Spaßmachen den Frieden fördert, doch hatte ich es nie zuvor zwei Wochen lang hintereinander getan. Mir ist klar geworden, daß man seine Heimat nicht zu verlassen braucht, um Diplomatie zu praktizieren. Ich stelle fest, daß ich öfter als je zuvor meine Pappnasen trage und mich an ihrer entspannenden Wirkung erfreue. Es gibt viele Mittel der Diplomatie, und ich hoffe, daß jeder Mensch diejenigen finden kann, die am besten zu ihm passen. Wenn jeder von uns diese Mittel in seinem Umfeld benutzen würde, um seinen Freunden und Nachbarn Frieden zu bringen, bekämen wir sicherlich bald eine wohltuende Wirkung auf der ganzen Welt zu spüren.

Und was ist das für eine ernste Welt! Die Zeitungen, das Fernsehen und all die anderen Medien verbreiten eine riesige Last von Problemen. Wie wäre es, wenn wir bei Hofe die Narren wieder einführen würden? Wenn ich mir ein Genfer Gespräch vorstelle, ist mir klar, daß ein Bush90 oder ein Jelzin91 daran teilnehmen werden – aber was wäre, wenn jeder seinen liebsten närrischen Menschen zum Ausgleich mitbringen würde? Ich glaube, es würde die Spannung erleichtern und die Verwundbarkeit als gemeinsames Gut bestärken. Erleichtere dich, Welt! Denke über eine Entwicklung der Nasal-Diplomatie nach!

 

 Wunschtod

Der Tod hat eine sehr schlechte Presse. Viele Stunden des Lebens werden in grauenvoller Angst vor diesem großen Geheimnis verbracht. Sterben ist eins der wenigen Dinge, die wirklich jeder tun muß, doch oft können wir es nicht ertragen, daran zu denken. Unsere Gesellschaft fühlt sich mit dem Tod so unwohl, daß trotz der unglaublichen Besorgnis, die über ihn besteht, nur wenige Menschen willens sind, ihn offen als belebendes Gesprächsthema zu erörtern.

Wenn der Tod überhaupt erwähnt wird, dann geschieht das meist im Flüsterton – so, als ob er geheim gehalten werden soll. Ist das „Todismus"? Gibt es da etwas in unserer Entwicklung, verstärkt durch unsere Erziehung, die Künste oder sogar durch den Berufsstand der Mediziner, was den Mythos fortbestehen läßt, daß der Tod kein Teil des großartigen Planes der Natur, sondern irgendein schrecklicher Trick oder eine fürchterliche Bestrafung ist? Müssen wir uns dieses althergebrachte Schauermärchen verkaufen lassen? Steht es uns nicht frei, wie wir den Tod betrachten?

Während meiner gesamten medizinischen Ausbildung lehrte uns niemand auch nur eine Lektion über den Tod. Das ist ein schreckliches Versehen. Menschen sterben. Das Leben wird durch die Angst davor erschüttert, und Familien werden zerrüttet, wenn es geschieht. Doch die medizinische Ausbildung ignoriert es. Die Folgerung scheint zu sein, daß der Tod ein therapeutisches Versagen darstellt. Das ist eine heimtückische Falle für Ärzte, die mit weitaus mehr Demut an die Medizin herangehen sollten. Ärzte sind nicht dazu da, um den Tod zu verhindern! Wir sind hier, um den Patienten zu helfen, ein Leben mit der größtmöglichen Lebensqualität zu leben und, wenn das nicht länger möglich ist, die höchste Qualität des Todes zu fördern.

Wenn wir Ärzte uns mit dem Tod nicht völlig wohl fühlen können, dann betrügen wir uns und unsere Patienten um den glorreichen Schwanengesang. Als ich während meines dritten Jahres auf der medizinischen Hochschule begann, Krankenhausmedizin zu praktizieren, wurde es mir klar, daß der Tod die unangenehmste Tatsache des Lebens war. Viel zu oft wurden Patienten, die offensichtlich im Sterben lagen, vernachlässigt: dem Sterben überlassen. „Da gibt es nichts mehr, was wir noch tun können", sagte das Personal. Die einzige Gelegenheit, bei der sich Ärzte mit einem sterbenden Menschen wohl zu fühlen schienen, war offensichtlich in extremen Notfällen mit Blaulicht und Tatütata, wenn der neueste Stand der medizinischen Technik draufgängerisch angewandt wurde. Wenn die Bemühungen nicht erfolgreich waren, hatte jeder das Gefühl, sein bestes gegeben zu haben – was natürlich stimmte. Doch es schien mir, als ob dieser Wiederbelebungsversuch für viele Fachleute eine erheiternde letzte hochtrabende Anstrengung war, den Patienten zu retten. Ich glaube, der Umgang mit dem Sterben ist der Punkt, wo die hohe Kunst der Medizin beginnt. Es ist ein Fehler der modernen Medizin, daß Ärzte darin nicht das Potential erkennen können, um die letzte Zeremonie der Überfahrt zu einer wundersamen Erfahrung zu machen.

Es gibt keine großartigere Gültigkeitserklärung des Glaubens als die Tatsache des Todes. Es gibt keinen schwerwiegenderen Grund, um ein Glaubenssystem zu entwickeln und sich ihm hinzugeben. Es spielt keine Rolle, ob das eigene Glaubensprinzip das Nichts oder die Unsterblichkeit suggeriert, beides kann den Akt des Todes erleichtern.

Für einen Arzt ist es wichtig, daß er den Glauben und die Lebensperspektive eines Menschen routinemäßig als Teil der medizinischen Geschichte untersucht. Wenn diese Ansichten nicht klar definiert sind, sollte ein Teil der Behandlung darauf hinzielen, sie zu bestimmen. Die meisten Patienten zeigten sich mir gegenüber sehr dankbar für die Zeit, die ich für diese Angelegenheiten verwendete, und es fundierte unsere Beziehung. Wann immer ich Zeit mit einem sterbenden Menschen verbrachte, fand ich tatsächlich einen lebenden Menschen. Die jüngeren unter ihnen sind dabei meist sehr gesprächig gewesen. Ich erinnere mich an ein elfjähriges Mädchen, das einen riesigen Knochentumor im Gesicht hatte, der ihr ein Auge zerquetscht hatte. Die meisten Leute fanden es wegen ihres Aussehens schwierig, bei ihr zu sein. Ihr Schmerz bestand nicht darin, daß sie starb, sondern in der Einsamkeit, ein Mensch zu sein, dessen Aussehen die anderen nicht ertragen konnten. Sie und ich spielten, machten Scherze und genossen ihren Abschied vom Leben. Seit dieser Zeit fühle ich mich verpflichtet, mich auch an den schwerkranken Menschen zu erfreuen und mich in ihrer Umgebung normal zu verhalten.

Ein anderer Freund, der Anfang zwanzig war und Krebs hatte, betonte ganz entschieden, daß er ein lebendiger Mensch wäre und das Unbehagen haßte, das die Leute über seinen Tod zum Ausdruck brachten. Dieser Verdruß, sagte er, wirke störend auf sein Leben ein. Kurz bevor er starb, ging er zu einer großen Tanzveranstaltung, und obwohl er nur noch einen Teil von einer Lungenhälfte besaß, tanzte er länger und intensiver als die meisten anderen Anwesenden. Sterben ist ein Prozeß von ein paar Minuten vor dem Tode, wenn dem Gehirn der Sauerstoff entzogen wird; alles andere ist Leben.

Als ich begann, Medizin zu praktizieren, mußte ich mich entscheiden, wie ich an die Frage des Todes herangehen wollte. Ich richtete mich an der Literatur des 19. Jahrhunderts aus. So viele Novellen beschreiben Erfahrungen eines Todes daheim, die sowohl für den Patienten als auch für die Familie wundervoll waren. Das leuchtete mir ein. Was könnte denn besser sein, als im Kreise der Familie und der Freunde zu sterben, in der vertrauten Umgebung des eigenen Zuhauses und all den Schätzen, mit denen man gelebt hat? Die sterbenden Menschen, die ich im Krankenhaus befragte, fühlten sich durch das Milieu vereinsamt und entfremdet. Was sie aufmöbelte, waren die Besucher und ein paar Erinnerungen an ihr Leben, die sie in ihrer Nähe behalten konnten. Unter den Fachleuten der Gesundheitsfürsorge, mit denen ich sprach, befand sich wohl kaum ein einziger, der das Gefühl hatte, daß er so sterben wollte. Viele antworteten, daß sie ihr Leben mit Medikamenten beenden wollten, wenn die Zeit gekommen sei.

Also ermutigte ich meine Patienten, zu Hause zu sterben, und war bereit, sie dort zu behandeln. Jedesmal, wenn ich das tat, wurde ein großer Teil der Angst vor dem Erlebnis des Todes weggenommen. Jedesmal waren die Patienten und ihre Familien zutiefst dankbar und erlebten häufig eine ähnliche Freude und Heiterkeit wie bei einer Hausgeburt. Diese Familien gehörten zu den dankbarsten, die ich je kennengelernt habe. Mir wurde bewußt, wie wenige Menschen heutzutage jemals den Todes eines geliebten Menschen vollständig erlebt haben. Als ich sechzehn war, starb mein eigener Vater in einem Krankenhaus, ohne seine Familie um sich zu haben und ohne jede Möglichkeit, Lebewohl zu sagen. Ich bin ärgerlich und fühle mich betrogen, weil ich nicht bei ihm sein konnte.

Betrachten wir die Parallelen zwischen Geburt und Tod. In dem überwiegenden Teil unseres Jahrhunderts war Geburt in unserem Land eine schmerzliche Erfahrung: Die Mutter wurde mit Medikamenten ruhig gestellt und der Vater und die Familie auf Abstand gehalten. Als ich auf der medizinischen Hochschule war, fanden Entbindungen im Kreißsaal eines städtischen Krankenhauses statt, mit mehreren tausend Geburten pro Jahr. Frauen schrien stundenlang vor Schmerzen, wurden durch die Krankenhausroutine gepeinigt und brauchten Beruhigungsmittel. Die Doktoren benahmen sich, als brächten sie die Babys zur Welt, wohingegen es doch in Wirklichkeit die Frauen sind, die uns Geburten schenken! Schon sehr früh in meiner ärztlichen Praxis wohnte ich Hausgeburten bei und machte völlig andere Erfahrungen. Hier war es eine Feier höchster Ordnung, welche die ganze Familie miteinander verband, und die Hebamme oder der Arzt dienten einfach als Berater.

Wenn vorbereitende Kurse helfen können, aus der Geburt ein prächtiges Erlebnis zu machen, warum haben wir dann keine Sterbekurse, um uns auf den Tod vorzubereiten? Wenn wir uns mit einer Lebenserfahrung vertraut machen, wird oft die Angst davor erleichtert. Das ist der Grund, warum ich für einen Wunschtod eintrete. Ich habe Tausende von Menschen gefragt, was sie über ihren Tod empfinden und höre immer wieder die gleiche Melodie: „Ich möchte keinen schmerzhaften Tod erleiden müssen" und „Ich wünsche mir, daß ich abends einschlafe und morgens nicht mehr aufwache." Ich glaube, daß durch bewußte Bemühungen und vorherige Planung Sterben zu einem vorhersehbaren und schönen Ereignis werden kann, an dem Familie und Freunde Anteil nehmen – ein letztes feierliches Beisammensein.

Also bitte ich meine Patienten, sich vorzustellen, was für einen Tod sie sich wünschen. „Was wäre Ihr Ideal?" frage ich. „Wünschen Sie sich einen armseligen, angstvollen Tod, allein in einem Krankenhaus, wo sich alle so benehmen, als seien Sie bereits gestorben? Oder entspricht ein Wunschtod mehr dem, was Ihnen gefällt?" Damit meine ich einfach das, was jeder Einzelne im Rahmen der Machbarkeit für sein Ideal hält.

In unserem geplanten Hospital und zu Hause bei den Patienten, die es ....  (Ende Seite 97)


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